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Dienstag, 25. März 2014

Predigt in Alanya am 2. Februar 2014


Heute lasse ich den normalen Predigttext mal links liegen, liebe Gemeinde. Wir haben als Evangelium die Geschichte von der Sturmstillung gehört. Zu der habe ich eine besondere Beziehung. 12 Jahre lang war ich Pastor der Martin-Luther-Kirche in Emden. Da ist diese Geschichte als Wandrelief über dem Altar zu sehen – in Überlebensgröße, ca 5 x6 m. Die Martin-Luther-Kirche stammt aus dem Jahr 1958, Ersatz für das im Krieg zerstörte Vorgängergebäude. Sie ist sehr schlicht gehalten. Das Auge findet wenige Punkte, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Um so eindrucksvoller wirkt das Bild von der Sturmstillung. Der Künstler Kurt Lettow hat das gleiche Motiv noch ein zweites Mal für eine Kirche gestaltet, zwei Jahre später in Bremerhaven. Es ist sicher kein Zufall, dass es sich beide Male um eine Hafenstadt handelt. Da hat man zu so einem maritimen Motiv sicherlich einen besonderen Zugang. Ich lese die Schilderung des Markus noch einmal in einer anderen Übersetzung: Am Abend dieses Tages sagte Jesus zu seinen Jüngern: "Lasst uns über den See ans andere Ufer fahren!" Sie schickten die Menschen weg und ruderten mit dem Boot, in dem Jesus saß, auf den See hinaus. Einige andere Boote folgten ihnen. Da brach ein gewaltiger Sturm los. Hohe Wellen schlugen ins Boot, es lief voll Wasser und drohte zu sinken. Jesus aber schlief hinten im Boot auf einem Kissen. Da rüttelten ihn die Jünger wach und schrien voller Angst: "Herr, wir gehen unter! Merkst du das nicht?" Sofort stand Jesus auf, bedrohte den Wind und rief in das Toben des Sees: "Sei still und schweig!" Da legte sich der Sturm, und es wurde ganz still. "Warum hattet ihr solche Angst?", fragte Jesus seine Jünger. "Habt ihr denn gar kein Vertrauen zu mir?" Voller Entsetzen flüsterten die Jünger einander zu: "Was ist das für ein Mensch! Selbst Wind und Wellen gehorchen ihm!"

Den meisten von uns wird das seit Kindergottesdienstzeiten bekannt sein. Eine Vertrauensgeschichte. Um es mit dem Apostel Paulus zu sagen: In Ängsten – und siehe, wir leben. Wobei unter dieser Losung vor knapp 50 Jahren mal ein Deutscher Evangelischer Kirchentag stattfand. Wir leben, die Jünger in dem Boot leben, wenn sie sich an Jesus orientieren. In dem Relief der Emder Martin-Luther-Kirche haben sie den Blick alle auf Jesus gerichtet, wenn auch mit ängstlichen Gesichtern. Nur einer schaut in die andere Richtung, Judas, der Verräter. Jesus aber ist gerade aufgestanden und macht mit beiden Armen eine majestätische Geste. Genau der Moment, von dem es heißt: Er bedrohte den Wind und rief in das Toben des Sees: "Sei still und schweig!" Einmal im Jahr wird diese Aussage in Emden noch einmal ganz besonders unterstrichen, wenn nämlich maritimer Gottesdienst gefeiert wird. Ein Künstler aus der Gemeinde, zugleich ein alter Seefahrer, hat mit dem Flaggenalphabet den anderen Spruch Jesu gestaltet: „Ich bin bei euch.“ Der wird zu diesem besonderen Anlass ebenfalls vorne aufgehängt.

Mir fiel dann auch öfter eine Begegnung mit der Sturmstillung aus meiner Anfangszeit im Pfarramt ein. Damals habe ich für ein paar Jahre den Konfirmandenunterricht in der Lebenshilfe übernommen, bei behinderten Kindern, die z. T. sehr stark eingeschränkt waren. Da musste man sich ganz auf das Wesentliche konzentrieren. Für die Sturmstillung haben wir das auf einer Fortbildung im Pastorenkreis wie folgt in Tönen und Text zusammengefasst: Die Jünger rufen ziemlich dissonant: Hilfe, Hilfe, wir versinken. Und Jesus antwortet in aller Ruhe: Habt keine Angst, ich bin doch da. Das gibt die Erfahrung wieder, die schon die ersten Christen in vielen Situationen der Bedrängnis gemacht haben. Das erleben Christenmenschen ja auch heute. Und in Form so einer Geschichte ist es viel plastischer dargestellt als wenn Paulus nur sagt: In Ängsten – und siehe wir leben.

Aber kann das Ganze nicht doch in Wirklichkeit so passiert sein? Wenn wir den Markus ernst nehmen, wohl eher nicht. Das Boot ist fast vollgelaufen, und Jesus liegt ruhig auf seinem Kissen? Trotzdem haben wir damals als Kinder gefragt, und es wird auch auf der Erwachsenenebene diskutiert: Ist das irgendwie vorstellbar? Eine Theorie weist darauf hin, dass am See Genezareth das Wetter sehr plötzlich wechseln kann. So schnell wie ein Sturm aufzieht, kann er auch wieder vorbei sein. Vielleicht hat Jesus ja sein Machtwort gerade in so einem Moment gesprochen, wird vermutet. Das ist zwar denkbar, aber wäre das dann wirklich ein Wunder? Dann brauchten die Jünger nicht zu fragen: Was ist das für ein Mensch?

Zumindest wäre es kein Wunder von der Art, wie es sich der Kinderglaube vorstellt. Wo der liebe Gott mit dem Finger schnipst oder ein Machtwort spricht, und dann fährt für irgendjemand ein Sonderzug. Wenn das Gottes Art zu handeln wäre, dann müsste man große Zweifel an seiner Gerechtigkeit haben. Wenn der Sonderzug für meinen Nachbarn fahren kann, warum dann nicht auch für mich? Nein, wir müssen schon davon ausgehen, dass Gott sich an seine eigenen Regeln hält. Er lässt der Welt ihren natürlichen Lauf. Er wirkt lieber in dieser Welt, auf leise, oft kaum wahrnehmbare Weise. Von dem, was er anstößt, was er durch seine Menschen anstößt, gehen trotzdem große  Wirkungen aus.

Was aber wäre dann heute ein Wunder? Eine erste Antwort steckt schon in dem Wort selbst: Ein Wunder ist alles, was uns zum Wundern und vor allem zum Be-Wundern bringt. Eltern sprechen nach der Geburt von dem Wunder, das da in diesem winzigen Wesen plötzlich vor ihnen liegt. Wir blicken auf die Wunder der Natur und sehen darin Gott den Schöpfer am Werk. Oder wir verspüren etwas von Gottes gutem Geist, wenn sich das Wunder ereignet, dass ein Mensch von einem bösen zu einem guten Weg findet. Da wird es zwar immer auch andere geben, die einfach sagen: Na und? Das Wunder wahrzunehmen, wirklich ins Staunen zu geraten – wer das erlebt, der merkt: Dies ist ein Geschenk. Das wird sogar noch größer, wenn man Gleichgesinnte findet, mit denen man gemeinsam staunen kann. Aber das werden schwerlich alle sein. Ein Wunder sehen und erkennen – das hat mit unserem Blickwinkel, das hat mit unserem Glauben zu tun.

Es gibt aber noch einen anderen Aspekt: Ist es nicht auch ein Wunder, wenn etwas Gutes und Richtiges gerade zur rechten Zeit geschieht? Gerade darin lässt sich oft Gottes Hand erkennen. Ich war mal zum Taufgespräch in der Familie eines Fernfahrers. Der erzählte ganz bewegt: „Ich verdanke meiner Frau mein Leben. Ich war übermüdet – der Druck auf der Landstraße ist ja groß – und war gerade dabei, einzudämmern. Die Räder waren schon auf dem Randstreifen. Genau in dem Moment klingelt mein Handy und meine Frau ruft mich an, wirklich in letzter Sekunde.“ Wozu die Frau sagte: „Und ich hatte in dem Augenblick das Gefühl: Jetzt musst du ihn anrufen!“ Das Richtige zur rechten Zeit. Für die beiden war es ganz klar ein Wunder. In meiner Ansprache bei dieser Taufe war dann die Dankbarkeit ein wichtiges Thema. In Anlehnung an unsere Geschichte hätten diese beiden auch sagen können: Da war das Versinken ganz nahe – aber dann, Gott, warst du da.

Zum Glück geht es im Leben nicht immer so dramatisch zu, lb. Gem.. Aber man kann auch bei kleineren Krisen in Bedrängnis geraten. Unsere Geschichte und erst recht das Bild in der Emder Kirche, sie sagen: Blick dann auf deinen Gott. Erwarte Hilfe von ihm. Er ist da. Er hilft vielleicht anders als du denkst. Er ist aber ein ruhender Pol – so wie der Emder Jesus auf dem sturmumtosten Boot ganz ruhig dasteht. Ich frage jetzt mal ganz direkt: Gibt es Begebenheiten in ihrem Leben, in denen Sie so etwas schon erlebt haben? Für die ersten Christen war es oft die Situation der Verfolgung. So etwas gibt es auch heute noch. Und es gibt auch heute die Angst: Gott hat uns vergessen. Meister, fragst du nicht nach uns, dass wir umkommen? Aber das andere kennen wir vermutlich doch auch: Dass es eine plötzliche Wendung gibt. Dass wir auf einmal wieder sagen können: Gott sei Dank!

In Emden und in Bremerhaven, in den beiden Hafenstädten, haben sie diese Glaubenserfahrung mit dem Bild von der Sturmstillung ausgedrückt. Die Bibel bietet noch manch anderes Bild. Welches spricht Sie besonders an? Das hängt sicher auch von den Lebensumständen ab. Ich bin mal über den Friedhof eines Winzerdorfs in der Pfalz gegangen, und auf jedem zweiten Grabstein wurde Bezug genommen auf Johannes 15: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben, sagt Jesus. Im Lied vor der Predigt ist das heute auch bei uns schon vorgekommen. Vielen Menschen sagt der 23. Psalm etwas – der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Was mal jemand so umformuliert hat: Der Herr gibt mir für meine Arbeit den Takt an, ich brauche nicht zu hetzen.

In diesem Zeitalter der Elektronik und der Scheinwerfer finden die biblischen Lichtworte Beachtung, in unserer Familie etwa der Anfang von Psalm 27: Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten?! Wie wir es sagen – dafür gibt es viele Möglichkeiten. Bevor wir es aber sagen und dann auch weitersagen, muss ja erstmal die Erfahrung da sein: Auch wenn ich in Ängsten bin – ich lebe. Und ich kann deshalb in Zuversicht leben, weil ich die Zusage Jesu persönlich nehme: Ich bin bei euch! Habt keine Angst, ich bin doch da!

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