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Donnerstag, 11. November 2010

Predigt vom 07.11.2010

Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.
Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.
( Brief an die Römer 14, 7 – 9 )


Liebe Gemeinde,

ein spannender Text! Allerdings passt er nicht zu dem Thema, das uns durch das Evangelium und die liturgischen Stücke ans Herz gelegt wurde. Das Evangelium und dieser „Drittletzte Sonntag im Kirchenjahr“ reden vom letzten Tag, bzw. vom ersten Tag, wenn man optimistisch ist. Der Wiederkunft Christi, dem jüngste Gericht, dem ewige Leben.
Der Apostel hingegen sagt seine drei gewichtigen Sätze in einem anderen, wie ich finde einfacheren Zusammenhang. Nicht nur die böse Welt da draußen vor der Kirchentür, sondern auch die kirchliche Welt reißt Texte aus dem Zusammenhang und fügt sie in Zusammenhänge ein, die ihr passen.
Keiner lebt sich selber, keiner stirbt sich selber. Leben wir, leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn… Was sollte besser zu dem Glaubensartikel passen: Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten? Paulus aber spricht im gesamten 14. Kapitel von der Gemeinde, genauer von Starken und Schwachen in ihr.
Ich hole da mal etwas weiter aus. Die Kenner, na klar nur die Kenner, die Nichtkenner haben keine Rätsel, die Kennerinnen des Römerbriefs, rätseln darüber, ob unser Brief wirklich nach Rom gegangen ist. Es gibt rasend interessante Theorien darüber, ob der Name Rom eine Deckadresse gewesen ist. Ganz Radikale meinen sogar, „Rom“ sei ein Deckname für Jerusalem gewesen.
Mir scheint es gesichert zu sein, dass Paulus die Gemeinde, an die er schrieb nicht kannte. Dann fragt man sich vielleicht, wie kann der Apostel zu der Gemeinde in Rom etwas sagen, die er nicht kannte?
Das ist ja immer die spannende Frage. Wie können katholische Priester etwas Rechtes zu Ehe und Familie sagen, die haben da doch keinerlei Erfahrung. Oder wie kann ein Atheist etwas Gescheites über den Glauben sagen, den er nie hatte oder irgendwann verlor?
Der Witz ist jedoch, liebe Gemeinde, solche Leute können durchaus etwas Rechtes dazu sagen. Mancher kath. Priester sagt Besseres zu Familie und Ehe als der mit fünf gescheiterten Ehen Erfahrungsgesättigte und mancher Atheist kann über den Glauben gescheitere Dinge sagen, als der frömmelnde Kirchenspringer.
Paulus kannte die Gemeinde in Rom nicht, wenn er dennoch etwas Gescheites und Rechtes über die Gemeinde sagen konnte, dann könnte das auch für eine andere wichtig sein. Zum Beispiel so einer Gemeinde, wie unserer in Alanya. -
Starke und Schwache. Wer ist bei uns stark, wer ist schwach? Der Pfarrer, ja, der Pfarrer muss auf alle Fälle stark sein. Stark im Glauben. Stark in der Moral, stark im Einstecken, stark im Austeilen, wenn er auf die eindrischt, auf die eingedroschen werden sollte. Eine stabile Gesundheit sollte er haben. Zum Schalldeckel sollte er sich eignen. Witzig muss er sein, jederzeit redebereit. Stark an Ideen, immer präsent, eine Führungspersönlichkeit, eine Laterne, die auch dann noch leuchtet, wenn man sie unten anpinkelt.
Und wer ist schwach in der Gemeinde? Das ist eine wirklich gemeine Frage. Das darf sich doch keine und keiner leisten in der Gemeinde – Schwäche. Richtige Schwäche meine ich, nicht solche, die rasch damit getröstet ist, wenn ihr gesagt wird, du bist doch gar nicht so schwach. Das ist doch genau wie draußen, Schwäche darf niemand zeigen. Wer schwach ist, kommt um im falschen Mitleid. Wer Schwäche zeigen muss, weil er sie nicht verbergen kann, wird mit einem mitleidigen Lächeln in das passende Schubfach gesteckt.
Starke und Schwache in der Gemeinde, ein heißes Thema, das letztlich deswegen niemals ernsthaft angepackt wird, weil der Starke stark bleiben muss und die Schwache unten gehalten wird.
Und so gesehen, liebe Gemeinde, ist die einzig echte Möglichkeit, über Starke und Schwache in der Gemeinde zu reden diese, dass man zu einer Gemeinde spricht, die man nicht kennt. So wie unser Apostel.
Also, was versteht der Apostel unter Starken und unter Schwachen?
Er sieht auf die Stelle, die für eine christliche Gemeinde entscheidend sein müsste, auf den Glauben. Er redet von Starken und Schwachen im Glauben.
Vielleicht meinen wir, das könne doch wohl nicht wehtun. Sogar die Muslime, bei denen solche Dinge noch im Kurs stehen, sind sehr misstrauisch gegen einen starken Glauben. Wenn der Glauben die Menschen hinreißt, wenn er alles erobert, was das Leben regeln muss, wenn der Glaube einen Menschen keine Verwandten kennen lässt, dann ist das Chaos da.
Und bei uns erst, da ist schon derjenige als Glaubens-radikalinski verdächtig, der aus Glaubensgründen die Ehe nicht bricht, nicht säuft, regelmäßig in die Kirche geht und noch nicht einmal Witze über das Beten reißt.
Der Apostel sieht das anders, sehr anders. Der Starke im Glauben, sagt er, isst alles, um mal ganz konkret zu werden. Der Schwache im Glauben isst kein Schweinefleisch, vielleicht sogar gar kein Fleisch. Der Schwache im Glauben braucht Feiertage, der Starke im Glauben hält alle Tage für gleich. Der Starke im Glauben hält alles für rein, der Schwache im Glauben wird nie fertig mit dem Prüfen.
So stark, sagen jetzt in ihrem Herzen die Meisten, können wir leicht sein, wenn’s sein muss, essen wir sogar Insekten, die Sonntage feiern wir ohnehin so, wie es unsere Arbeit zulässt und die Reinheitsfrage, Jesus hat es auch gesagt, die Reinheitsfrage ist für uns schon lange erledigt. Aber Vorsicht! Die Stärke der Starken im Glauben besteht bei Paulus darin, dass die Starken alle ihre Freiheiten zurückschieben können, wenn es um das Gewissen der anderen geht, seine Existenz in der Gemeinde.
Wir reden von der Wirklichkeit der christlichen Gemeinde, die wir sind, liebe Gemeinde. Nimmt deine Glaubensschwester Anstoß an deiner Freiheit, dann sei so frei, auf solche Freiheit zu verzichten. Kommt dein Glaubensbruder nicht damit zurecht, dass du Homosexualität für eine normale menschliche Möglichkeit hältst, veranstalte keine Demonstrationen.
Die Summe aus alldem lautet: Erweise deine Freiheit darin, den anderen an seinen Unfreiheiten nicht zerschellen zu lassen. An anderer Stelle drückt der Apostel es so aus: Alles ist erlaubt, aber nicht alles erbaut die Gemeinde.
So sind wir am Ende zu einer entscheidenden Aussage gekommen. Für Paulus ist Gemeinde, also die Truppe, die von Jesus Christus angerührt, ein Neubau in unserer alten Welt. Vereine werden gegründet und aufgelöst, die Gemeinde ist Gottes persönliches Werk. So schließe ich zusammenfassend mit einem Satz aus dem Kontext unseres Predigttextes: Zerstört nicht um der Speise willen Gottes Werk.