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Montag, 29. September 2008

PREDIGT über die 2. Seligpreisung Matth. 5,4

2.Predigt über die Seligpreisungen Matth.5,4

Liebe Gemeinde in Antalya,
in Alanya beschäftigen wir uns zur Zeit in einer Predigtreihe mit den Seligpreisungen Jesu aus der Bergpredigt. In gewisser Weise sind diese Sätze der Seligpreisungen „weise Rätselsätze“. Man versteht sie nicht auf Anhieb. Man versteht sie sogar falsch, wenn man sie nur von der Oberfläche her, vom reinen Wortlaut her versteht. Man muss durch sie hindurch schauen wie durch ein Fenster, dann tut sich durch sie eine neue Welt auf. Als könnten wir gewissermaßen in den Himmel schauen.
Jesus ist – um diese Sätze zu predigen – auf einen Berg gestiegen. Symbolisch hat er sich so in die Nähe Gottes gesetzt. Und eben dahin wollen seine Sätze auch die Hörer aller Zeiten führen. In diesem Zusammenhang fällt die heutige 2. Seligpreisung besonders auf:
Selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
Wie bitte?! „Leid tragen“ soll in die Nähe Gottes führen? Sind die Christen denn Masochisten? Jahrhundertelang hat man mit diesem Satz Menschen zu disziplinieren versucht und zur Geduld gemahnt. Du musst das eben tragen. Das ist dir von Gott geschickt. Es ist dein Geschick. Du musst in deiner Ehe aushalten, auch wenn sie schon lange kaputt ist und sie eine Qual für dich ist. Du musst deine Krankheit annehmen. Du musst in deiner Stellung ausharren auch wenn es dich körperlich oder seelisch zerreibt. Nur wenn du erträgst, wirst du selig. Es wird dir im positiven Sinne vergolten werden, später nach dem Tod. Getröstet wirst du später.
Manchmal kann es richtig sein, etwas auszuhalten, etwas durchzustehen, ohne sofort den leichteren Weg der Flucht oder Veränderung zu nehmen. Aber es ist auch viel Schindluder auf diesem Gebiet getrieben worden. Es gibt keine Regel. Man muss den Einzelfall sehen, um zu entscheiden, ob etwas ausgehalten werden muss oder ob es zu ändern ist.
Trotzdem – noch einmal: „Leid tragen“ soll etwas Gutes sein? Was könnte das sein?
Wenn jemand gestorben ist, sprechen wir von den Angehörigen als den Leidtragenden. Wir meinen damit die Trauernden. So lässt sich dann unser Satz auch übersetzen: Selig die Trauernden, denn sie sollen getröstet werden. Das führt weiter.
In der Regel wollen wir Trauer vermeiden. Sie tut der Seele weh. Sie schmerzt – und das sucht niemand, solange er seelisch gesund ist.
Jeder Pastor hat Folgendes in seiner Praxis sicher schon erlebt: Oft sagen Angehörige vor einer Trauerfeier:“Machen Sie`s kurz, Herr Pastor“. Da steht keine Beziehungsschwierigkeit zum Verstorbenen dahinter. Die Angehörigen haben zumeist nur Angst vor der Trauer. Diese wollen sie vermeiden. 10 Minuten kann man die Tränen vielleicht zurückhalten,- aber dann soll Schuss sein.
Jesus zeigt in unserem Satz in der Bergpredigt keine Angst vor der Trauer. Ganz im Gegenteil: er scheint in ihr eine lösende Kraft zu sehen.
Dass Trauer befreit, dass Tränen etwas lösen, das kennen wir sehr wohl auch. Viele Menschen sagen sogar – und sie meinen das durchaus bedauernd: Ich kann nicht weinen. Sie spüren dann den Schmerz oder die Traurigkeit wie einen Stein in der Brust. Als wäre ihr Herz eng und schwer geworden. Nicht gelöste Trauer belastet. Tränen wären geradezu wie eine Gnade, ein Geschenk des Himmels. Sie wären wie der Regen, den wir doch so sehr alle brauchen und im Herbst nach der Sommerglut sogar ersehnen und erwarten.
Trotzdem: Leicht ist es mit der Trauer eben nicht. Manche tun sich sehr sehr schwer mit der Trauer. Sie können den Stein in der Brust nicht loslassen. Sie halten ihn sogar lieber fest, auch wenn er schwer lastet. Darin liegt eine große Gefahr. Diese Unfähigkeit zu trauern kann depressiv, also krank machen. Depressivität ist etwas anderes als Traurigkeit. Traurigkeit löst, gibt ab – Depressivität hält fest und macht am Ende starr, hart und leer wie tot.
Warum fällt es uns so schwer, etwas zu betrauern? Warum ist diese Unfähigkeit zu trauern da? So hat das ein großer Psychologe, Alexander Mitscherlich, genannt: Die Unfähigkeit zu trauern. Er hat das am Beispiel der Kriegs- u. Nazigeneration erforscht und durchbuchstabiert. Nachdem all die Greueltaten der Nazis bekannt wurden, haben die meisten Menschen sich nicht zu ihrer Täterschaft und Mittäterschaft oder Mitwisserschaft und Wegguckergewohnheit bekannt und die Taten etwa gar betrauert. Vielmehr haben sie sie geleugnet und bestritten, so viel sie nur konnten. Hätten sie sie aus ganzem Herzen betrauert, hätten sie sie praktisch weggeschwemmt und dadurch wirklich seelisch gelöst. Stattdessen haben sie die Greuel zu erklären versucht, sie haben sie verteidigt und gerechtfertigt und sind so an diesen Taten hängen, kleben geblieben. Das wirkt noch nach – bis in die 3.o.4. Generation hinein. Ohne echte Trauer, ohne ein aufrichtiges Bedauern und Beklagen kann man dieses Kapitel nicht beenden – und solange es nicht beendet ist, gibt es in anderer Weise auch wieder neue Täter vergleichbarer Art.
Genauso sieht es im privaten, persönlichen Leben aus: Es gibt kein Leben ohne Scherben. Wenn wir solche Scherben nicht durch Betrauern wegschwemmen, dann picksen und zerschneiden sie unsere Seele ein Leben lang.
Jesus war ein guter Psychologe. Er kannte die Seelen der Menschen gut. Deshalb sagt er in den Seligpreisungen ganz deutlich: Traurigkeit über das, was nicht zu vermeiden ist, über einen Verlust oder ein großes Unglück, aber auch über eine große Schuld, soll man nicht wegbügeln. Man muss die Trauer durchstehen, durchwandern, lebendig mit ihr umgehen, sich wirklich Zeit nehmen zum trauern und sich Zeit damit lassen. Dann wird die Trauer selbst schon zum Trost.
Man spricht heute gerne von Trauerarbeit. Eine solche Arbeit ist wirklich schwer, aber sie lohnt sich. Der Satz „die Zeit heilt alle Wunden“ ist falsch. Die Zeit heilt gar nichts. Sie lässt nur vergessen, aber deshalb ist das Böse oder das Schlimme nicht weg. Es macht die Seele in der Tiefe dumpf. Nur wenn man die Zeit nutzt, um Trauerarbeit zu leisten, heilt sie.
Nun fehlt aber noch das Entscheidenste!
Das Ziel unserer Bemühung ist nicht die Trauer. Die Trauer ist nur ein Durchgang wie ein Tor – auch wenn dieses in der Regel ein enges und schmerzhaftes Tor ist. Geht man aber hindurch, kommt man in ein weites und klares Land: das ist der Trost. Um ihn geht es. Das ist das Ziel. Er stellt sich ein – wie von selbst, wenn man nur die Trauer einen Moment lang aushält.
Selige Menschen sind also getröstete Menschen, die durch das Land der Trauer gegangen sind. Das ist der Weg.
Jesus will uns Mut machen, dass wir uns so unserer Seele stellen; dass wir sie durchwandern, um am Ende als Getröstete recht weiterleben zu können. Dann leben wir „auf dem Berg“, in der Nähe Gottes, wohin Jesus uns führen will.
AMEN

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