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Mittwoch, 24. Dezember 2008

Abschied

Liebe Leser,
mit der Weihnachtspredigt 2008 aus Alanya und einem Erfahrungsbericht, den ich für die Januar-Ausgabe des evangelischen Magazins „Chrismon“ über meine 9 Monate von April bis Dezember in Alanya geschrieben habe, schließe ich diese Blogseite.
Ich danke allen, die hier mitgelesen haben, was uns in Alanya beschäftigt hat, und ich danke allen, die in Alanya geholfen haben, eine Christliche Gemeinde aufzubauen.
Ich wünsche allen Gottes Segen für die Zukunft.
Wer an weiteren Predigten und Berichten von mir interessiert ist, kann ab Januar 09 auf meiner neuen Blogseite http://klausnerundpilger.blogspot.com weiterlesen.
Herzlich willkommen!
Pfarrer i.R. Rainer Wutzkowsky

Ein Brief aus Alanya - zum Schluss

„Sommer, Sonne, Fettgeruch“ titelte die FAZ-Sonntagszeitung im vergangenen Herbst und brachte dann einen einigermaßen bissigen oder giftigen Bericht über die „Deutsche Kolonie“ an der türkischen Riviera in Alanya. Auch unsere Gemeinde wurde bedacht. Deutsche, die sich hier niedergelassen haben, ärgern sich nur noch wenig über Berichte dieser Art. Solche Reportagen in Zeitungen oder sogar im Fernsehen ist man beinahe schon gewohnt. Da ist zum Xten mal von Willi`s Kneipe mit Skatrunde, Sauerkraut und Rolladen die Rede. Oder von „Rudi aus Bottrop“, der auch nach 10 Jahren noch kein türkisches Wort kennt und der hier „wie in Bottrop“ lebt – nur mit mehr Sonne und dem Meer vor der Haustür. So ist das Klischee – und fast bin ich geneigt zu denken, dass Rudi wohl nur virtuell existiert. Die Menschen, die ich hier kennengelernt habe, sind anders – zumindest auf den 2. Blick.
Zwar wollen sie alle die Wärme, die herrlichen Früchte vom bunten Markt, die billigere Wohnung, das blaue Meer, das leichtere, beschwingtere Leben, die türkische Gastfreundschaft und Freundlichkeit zumal älteren Menschen gegenüber – aber darf man das denn nicht wollen?! Zumal wenn die Rente klein ist und heute manchmal kaum noch für die Heizkosten zuhause reicht. Eigentlich haben die meisten hier im Leben immer unten rangiert. Nein, schlecht ist es nicht, wenn sie es auch besser haben wollen – und ein paar Worte Türkisch können sie mittlerweile auch. Die Sprachkurse sind hier gut besucht; sie sind sogar ausgebucht.
Seitdem ich hier bin, bin ich allerdings auch voller Bewunderung für die Türken, die Deutsch sprechen, auch für die in Deutschland. Es muss doch wohl Deutsch für sie genauso schwer zu lernen sein wie für uns Türkisch.
Überhaupt die Türken! Welch´ verschiedene Kultur! Bis in Gesten und Körpersprache hinein ist alles anders. Und sie sind freundlich und geduldig mit uns Ausländern. Hilfsbereit und einfach nett. Nur ein paar Kilometer vor der Stadt bringen sie uns Blumen oder Früchte als Geschenk, wenn wir mit der Wandergruppe unterwegs sind – einfach so.
Natürlich werden Ausländer und Touristen auch betrogen und übervorteilt. Aber wo auf der weiten Welt ist es anders, wenn Touristenmassen die Kultur verändern?
Auch die Religion ist sehr anders als gewohnt. An den Muezzin morgens um 5 oder 6 muss man sich gewöhnen. Aber neidvoll sehe ich als evangelischer Pfarrer wie ganze Männer(!)scharen in die Moschee strömen oder wie selbstverständlich man(!) seine Religion öffentlich praktiziert. Die Religion ist lebendig und gehört ohne Frage zum Leben dazu. Mit welchem Stolz die jungen hübschen Frauen ihr Kopftuch tragen! Es ist ein Bekenntnis. Ich weiß nicht, ob sie weniger selbstbewusst sind als die halbnackten Touristinnen in der Stadt.
Wir Christen – allein 6000 Deutsche sollen hier ständig oder teilweise wohnen, dazu kommen Niederländer, viele Skandinavier und neuerdings Iren und Polen – wir Christen sind öffentlich nicht so leicht zu bemerken und auch nicht so leicht zu finden. Immerhin hängen zwei oder drei Plakate an markanten Plätzen aus und laden zum Oekumenischen Gottesdienst am Sonntag ein – im Keller. Die Stadt Alanya hat uns einen Raum im großen Städtischen Kulturzentrum, einen Kellerraum zur Verfügung gestellt. Aus dem haben wir im letzten Jahr unsere Kirche gemacht. Einen Ambo und einen runden Altartisch haben wir zimmern lassen. Eine junge Deutsche, mit einem Türken verheiratet, die aus Treibholz kleine Kunstwerke zaubert, hat uns ein Altarkreuz gearbeitet und geschenkt. Treibholz (!) – vielleicht sind wir es hier ja auch? Unsere Organistin Julia, Russin, sitzt am Keyboard, das eine Kartenspielgruppe „erspielt“ und uns geschenkt hat – und dann feiern wir Gottesdienst. Manchmal mit 30, oft mit 60 und hin und wieder sogar mit 90 Besuchern. Alte Menschen, Rentner, Witwen – Familien mit Kindern gibt es fast nur im Sommer. Das sind die Polen.
Oekumenisch sind wir. In Antalya, 120 km westlich, arbeitet ein katholischer Kollege, der vor 5 Jahren hier überhaupt erst begann. Ich sage immer: es ist wie bei den sog. oekumenischen Trauungen. Antalya ist katholisch mit evangelischer Mitwirkung. Alanya ist evangelisch mit katholischer Mitwirkung. Aber wen interessiert das? Die Menschen hier nicht.
Dennoch: beim Abendmahl legt der Kollege Wert auf die Hl.Messe. Er kann und darf ja wohl nicht anders. Ich lade oekumenisch offen ein und sie kommen, fast alle.
Hin und wieder zu den Feiertagen oder zum Erntedankfest fahren wir zum oekumenischen Gottesdienst nach Belek, zwischen Alanya und Antalya gelegen, und treffen dort die Gemeinde aus Antalya. Ein Hotel-Konsortium hat in Belek eine Moschee, eine Synagoge und eine Kirche an einem Ort, nebeneinander errichtet. „Garten der Toleranz“ genannt. Wenn das nicht nur Alibifunktion hat – es wäre ein Modell für die abrahamitischen Religionen. Interreligiöse Veranstaltungen gibt es dort leider (noch) nicht. Aber wie denn auch – wenn die anderen Religionen intern auch so zerklüftet sind, wie wir Christen uns manchmal noch zeigen!
Auch die Holländer und Norweger benutzen „unseren“ Keller für ihre Gottesdienste. Pfingsten feiern wir zusammen in allen vorhandenen Sprachen. Sogar die 1. Sure des Korans wurde beim letzten Mal arabisch gebetet. Manchmal fühle ich mich in solchen Momenten dem Paulus sehr nahe, wenn das nicht zu vermessen ist. Vor 2000 Jahren hat er in dieser Gegend begonnen. Ich glaube, er war schon weiter, als wir es heute hier sind.
Noch einmal die Norweger. Sie sind auf jeden Fall weiter als wir. Ihre Seemannskirche – so eine Art CVJM für die norw. Auslandsarbeit – hat im September 2008 hier in einem ehemaligen Restaurant ein Begegnungszentrum eröffnet. In der Presse hieß es bald „Geheimkirche“, weil sie dort auch ihre Gottesdienste feierten. Seitdem feiern sie ihre Gottesdienste wieder im Keller. Man sieht, wie dünn das Eis unter unseren Füßen ist. Wir wissen auch nicht, ob uns ein anderer Bürgermeister den Keller nicht wieder entzieht. Wir gehen davon aus, dass man in Zeiten von EU-Beitrittsverhandlungen Ausländer nicht verprellen will. Aber weiß man`s?
Wir Deutschen dürfen das „Norwegische Haus“ mitbenutzen. Jeden Dienstag gibt es dort unser Gemeindecafe. Viele kommen. Es spricht sich herum. Ich sehe Gesichter, die ich nicht aus dem Gottesdienst kenne – und ich glaube, man kommt auch nicht nur wegen des leckeren selbstgebackenen Kuchens. Der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein, sonder mehr noch vom Gespräch.
Verkaufen dürfen wir nichts. Deshalb gibt es auch keinen Basar. (Und das in der Türkei, wo hier doch alles Basar ist!) Da kämen wir mit dem Gesetz in Konflikt. Deshalb verschenken wir alles – und aus purer Dankbarkeit gibt uns jeder – wirklich! – eine Spende. Türkische Lösung nennen wir das.
Überhaupt können wir uns nur so mit türkischen Lösungen über Wasser halten. Unsere Schwestergemeinde in Antalya wird von A-Z von der Deutschen Bischofskonferenz alimentiert. Außerdem kommen Bildungstouristen dorthin und lassen Spenden da. Die EKD erwartet von uns in Alanya einen nennenswerten Eigenbeitrag, bevor sie mit ihrer ohnehin sparsamen Subventionsgießkanne kommt. Das schürt Neid, Konkurrenzgefühle, manchmal sogar Wut und Verbitterung. Auch Christen sind Menschen.
Und ich, seit einigen Monaten Pastor für diese Gemeindegruppe, bin ja auch schon Pensionär, Pfarrer in Ruhe wie es heißt. Deshalb bin ich nur für 9 Monate hier. (Irgendwie erinnert das ja an eine Schwangerschaft. Aber was soll hier eigentlich geboren werden?) Statt Pfarrer in Ruhe aber sollte es doch eher Pfr.i.A. heißen: im Abenteuer. Das ist es wert, zumal wenn es ein geistliches ist. Und dem nächsten Pfarrer i.R. wünsche ich es auch so.
RAINER WUTZKOWSKY

Weihnachtspredigt 2008

Aus welchem Holz ist die Krippe – aus welchem Holz bin ich?

Liebe weihnachtliche Gemeinde,
Weihnachten nimmt auf die eine oder andere Weise die Herzen der Menschen gefangen.
Wie wäre es sonst zu erklären, dass jemand danach fragt, wo in Alanya zu Weihnachten was richtig los ist, damit man nicht zu sehr an zuhause oder die Kinder denken muss? Andere sagen: ich bin gerade hier, weil ich dem Weihnachtsrummel in Deutschland ausweichen möchte, während wieder andere genau deshalb oder wegen der romantischen Stimmung nachhause, zur Familie fahren? Die einen halten es da nicht aus, die anderen hier nicht.
Weihnachten hat`s in sich! Weihnachten bewegt – positiv oder negativ.
Keiner wird sagen: Weihnachten ist mir total egal – wenn er ehrlich in sich hinein spürt. Auch die Verbitterung, die in einem solchen eventuellen Satz immer mitschwingt, zeigt noch die Berührung. Man kann Weihnachten nicht entkommen. Weihnachten holt uns ein, Weihnachten läuft uns nach.
Es ist ja gar nicht das Festessen. Es sind nicht die Geschenke, der Tannenbaum, die Lichter, das festliche Beisammensein. Das ist Stimmung. Aber selbst die rührt letztlich noch von etwas ganz anderem her.
Was zieht uns an die Krippe? – das ist die entscheidende Frage.
Nun, ein neugeborenes Kind ist immer anrührend und anziehend. Es ruft sofort einen Beschützer-Instinkt wach. Ich muss da hingucken, für Wärme sorgen, den Schlaf bewachen. Ich kann mich an dem Bild nicht satt sehen.
Genau! Das ist es, was zieht: Es ist ein Hunger da. Der will satt werden!
Die Krippe ist ja nun auch zuerst einmal ein Futtertrog. Tiere sättigen sich da. Ochs und Esel, vielleicht sogar Kamel und Löwe. Die Psychologen würden uns das nun schon erklären, wenn wir Menschen ebenso wie die Tiere in die Krippe schauen.
Was bedeutet es denn?
Wir schauen in eine Höhlung, in einen leeren Raum, in eine Schale – und eben einen solchen Hohlraum entdecken wir auch in uns. Unser Herz ist leer wie eine Schale.
Das Herz ist immer eine offene Frage. Es ist bewegt von offenen Fragen. Und diese Fragen gehen nach Lebenssinn, nach Freude, nach Liebe, nach Glück, nach Zufriedenheit. Das Herz fragt: Wo werde ich endlich satt und ruhig? Manchmal komme ich mir in diesen Fragen gierig wie ein Tier vor – mehr oder weniger wild. Die Fragen sind kreatürlich. Sie sind das Elementarste, was es gibt. Manchmal sind sie reißend, zerreißend.
Nun ist da aber ein Kind, ein Neugeborenes in den Tier-Futtertrog gelegt.
Je länger ich es anschaue und betrachte, denke ich: Ja, so müsste es sein! Nicht das wilde Tier, das sich nimmt, was es braucht und will, ist die Lösung für die Welt und für mich. So entsteht immer nur weiterer Unfrieden, Krieg, Kampf, Gewalt, Hass – und ich werde immer unzufriedener und hungriger.
Das Kind ist die Lösung! Vom Kind her wird die Seele satt. Das Kind beruhigt das wilde Tier. Es macht es ruhig, es macht es menschlich. Im Kind schaut mich die Menschlichkeit an.
Der Frieden, den ich brauche,- er kommt zuerst nicht von außen. Er kommt von innen. Er ist unabhängig von allen Dingen, die da außen geschehen und die die Welt nur beunruhigen. Er kommt von innen, wenn ich einstimme, dass da ein neues Kind auch in mir geboren ist. Ich kann noch einmal neu anfangen – heißt das – und alles anders machen. Ich muss mir nur den Blick auf die Krippe, die leere Schale und das Kind darin erhalten. Das ist der Kompass. Orientierung brauche ich. Die gibt mir keine Zeitung, keine Nachrichten. Der weihnachtliche Blick ist es, der mich auf Kurs hält. Die Krippe ist das Symbol dafür.
II
In unseren Kirchen hat sich im Allgemeinen das Kreuz als Hauptsymbol durchgesetzt. Das war nicht immer so. Zuerst hat man im Kreuz nur ein Schandmal gesehen. Das Kreuz ist zuerst ein Negativ-Symbol. Es durchkreuzt, es vernichtet, es streicht durch wie ein X.
Das Kreuz hat ein anderes Symbol verdrängt oder es gar nicht erst zur Entfaltung kommen lassen. Ich meine die Krippe.
Wenn wir das Kreuz ansehen, werden wir vernichtet, durchkreuzt. Das muss auch sein. Am Menschen ist vieles zu durchkreuzen, zu verneinen, wenn er erlöst sein will. Aber darüber dürfen wir nicht verdrängen, dass unsere Herzen hungern und dass sie satt werden wollen. Das ist ebenso legitim.
Wenn wir die Krippe ansehen, werden wir satt – und alles Wilde und Zerstörerische in uns wird langsam menschlich. Da vollzieht sich in uns eine Neugeburt, eine Vermenschlichung. Die setzt uns auf die Spur des Mannes aus Nazareth. Da geht der Weg lang. Wir müssen nur der Spur folgen. Dieser Spur!
Ein großer Theologe (Karl Barth) hat gesagt, dass die Krippe und das Kreuz aus einem Baumstamm gemacht sind. Er wollte damit sagen, dass sie ein und denselben Charakter haben. Beides sind Zeichen der Niedrigkeit oder der Erniedrigung. Das glaube ich nicht – oder so nicht. Das muss man feiner sehen.
Im Mythos vom Paradies am Anfang der Bibel werden zwei Bäume erwähnt: einmal der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, an dem Adam und Eva scheitern. Aus diesem Baum ist auch das Kreuz gezimmert. Wer Gut und Böse trennt, der neigt auch zum Guten wie zum Bösen. Das bringt eine Zerrissenheit, eine Zerspaltung, eine Kreuzerfahrung in den Menschen hinein. Das erniedrigt ihn, macht sterblich und krank.
Der andere Paradiesbaum ist der Baum des Lebens. Er spendet ewiges und wahres Leben, Sättigung, Fülle. Adam und Eva haben von ihm nicht gegessen, obwohl seine Frucht nicht verboten war. Aus diesem Baum ist die Krippe geschnitzt.
Wer die Krippe betrachtet, wer sie in sich hineinnimmt, sein Herz selbst zur Höhlung, zur offenen Schale, zur Krippe macht, entdeckt das Leben neu und anders. Diese Erfahrung erhebt und macht fröhlich.
Es lohnt, sich von Weihnachten anstecken zu lassen. Egal, ob wir es fliehen oder ob wir gerne sentimental werden: es sind alles Wege, die letztlich doch zur Krippe führen. Wenn wir angelangt sind, sind wir getröstet und freuen uns. Wir sind am Ziel wie die Hirten.
Und so gehen wir getröstet und getrost und gewandelt in dieses Fest und bald in ein Neues Jahr.
Möge es uns ein Fest des Lebens und ein Neues Jahr des Lebens werden.
AMEN

Sonntag, 21. Dezember 2008

Über die FREUDE

Predigt zum 4. Advent über Philipper 4,4-7 am 21.12.2008 in Antalya

Liebe Gemeinde,
zum Arzt geht man in der Regel, wenn man krank ist oder wenn man spürt, dass eine Krankheit naht. Wir erwarten dann vom Arzt Sorgfalt und Bemühung, damit wieder heil und gesund wird, was krank ist. Der Arzt ist vor allem also ein Reparateur. Er repariert, was kaputt ist.
In anderen Kulturen – in China z.B. – sieht man die Aufgabe des Arztes weitaus umfassender. Er soll nicht nur reparieren, sondern vor-sorgen, dass etwas gar nicht erst kaputtgeht. Natürlich muss das auch der Patient wollen. Er muss mitmachen, sonst hilft auch die beste ärztliche Vorsorge nichts.
Es geht um zwei ganz verschiedene Perspektiven. Beide male geht es um die Gesundheit. Einmal aber geht es darum, sie wiederherzustellen, das andere mal aber darum, sie gar nicht erst zu verlieren.
Natürlich ist die zweite Perspektive die bessere. Wer möchte denn schon erst krank werden, um dann mühsam und vielleicht schmerzvoll zu gesunden? Lieber bleiben wir gesund. Wir beugen lieber vor und bevorzugen - wenn wir es ernst meinen – einen gesunden Lebensstil. Die Ärzte nehmen dann nicht das Kranke in den Blick, sondern sie studieren vor allem das Gesunde und fragen sich, wie man es bewahrt. Sie fragen nach Widerstandskräften, nach Immunisierung, nach den Vitaminen, die Leib und Seele brauchen, um gesund zu bleiben.
Diese Perspektive wurde nun nicht nur von den Chinesen entdeckt. Ein jüdischer Arzt und Psychologe hat das z.B. ebenfalls kurz nach dem 2. Weltkrieg entdeckt und erforscht. Er hatte KZ-Opfer untersucht und sich gefragt, warum die einen an dieser furchtbaren Erfahrung zerbrochen sind, während andere viel Widerstand und Kraft gegen genau dieselben Erfahrungen entwickelten. Er hat sich gefragt, was das wohl ist, was die einen so schwach und krank macht und was die anderen stärkt und gesund hält. Es ist nicht nur Veranlagung, geerbte Robustheit, seelische Panzerung. Es muss noch etwas anderes da sein, was die Seele von innen stark macht, und das hat dann auch Auswirkungen auf den Körper, auf die ganze Gesundheit und das Wohlbefinden.
Ich möchte nun sogar behaupten, dass der Apostel Paulus schon vor 2000 Jahren etwas ganz ähnliches entdeckt hat. Wir haben es gerade in der 1. Lesung aus dem Philipperbrief gehört.
Man stelle sich bloß einmal vor:
Paulus sitzt im Gefängnis. Nicht in einem modernen, sondern in einem antiken. Dort hat man ihn hineingebracht, weil seine Glaubensverkündigung Anstoß erregte. Wieder einmal. Er ist also gebunden, im wahrsten Sinne des Wortes. Er kann nichts tun. Dann bekommt er noch schlechte Nachrichten – ausgerechnet aus seiner Lieblingsgemeinde in Philippi, Nordgriechenland. Da gibt es Prediger, die nicht nur das Evangelium im Sinne haben, sondern noch von vielen anderen Motiven z.B. persönlicher Eitelkeit und Geschäftemacherei getrieben sind. Diese Prediger haben sogar Erfolg. Sie haben ein einnehmendes Wesen – und Paulus wird langsam, aber immer mehr an den Rand gedrückt. Er kann nichts tun. Er sitzt im Gefängnis mit gebundenen Händen.
Das ist eigentlich eine Situation zum verzeifeln.
Aber Paulus schreibt unentwegt von der Freude. Freut euch, sagt er – und abermals sage ich: Freut euch!
Wie bitte? – fragen wir. Bekommt Paulus vielleicht gar nicht mehr mit, was da alles so läuft. Redet er sich in etwas hinein, damit die Wirklichkeit nicht gar so schmerzlich wirkt? Macht er sich bloß etwas vor? Baut er sich eine Schein- o. Wunschwelt auf?
Oder aber meint er vielleicht eine Freude, die aus einer ganz anderen Tiefe kommt- aus der tiefsten Schicht der Seele? Es könnte ja sein, dass Paulus gerade durch seine schlimmen Erfahrungen auf eine Schicht in sich gestoßen ist, die ihn unangreifbar macht, weil sie ihm niemand nehmen kann. Er wird nicht krank, er verzweifelt nicht, er wird nicht depressiv oder niedergeschlagen, weil er sich ganz auf diese andere innerste Kraft konzentriert. Freude nennt er sie.
Und so geht es dann auch weiter: Zeigt eure Güte, die in eurem Herzen wohnt, den anderen Menschen. Sorgt euch nicht! Eure Sorge verändert ja nichts. Sie belastet das Leben nur auch noch und macht es noch schwerer. Wenn ihr einen Mangel verspürt, haltet ihn Gott hin. ER sorgt.
Und nun kommt sein Spitzensatz:
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahrt euch in solcher inneren Stärke.
Wir gebrauchen unsere Vernunft, um das Leben zu lenken und zu meistern. Das ist gut und vernünftig. Aber es reicht nicht aus. Damit allein lösen wir nicht alle Probleme. Es gibt eine höhere oder tiefere Vernunft, eine andere Kraft. Die gibt uns erst den Frieden.
Der Herr ist nahe.
Aus diesem Glauben lebt Paulus. Deshalb freut er sich. Weil Gott nahe bei ihm ist, und er Gott nah und näher kommt,- das versetzt ihn in Freude.
Freude ist also solch ein Vitamin, das die Seele immunisiert, und das dann auch den Körper gesund erhält.
Damit stehen wir aber nun vor der Frage: Wie finde ich denn dieses Vitamin? Wie kann ich es zu mir nehmen?
Ich kann es doch nicht einfach machen,- wie ich mir morgens zum Frühstück einen Orangensaft auspresse.
Nein, machen kann man dieses Vitamin „Freude“ nicht. Muss man auch nicht,- weil es schon in uns steckt. Es ist uns schon ins Herz gelegt. Ich muss es nur hervortreten lassen, ans Tageslicht bringen.
Neulich habe ich in einem wirklich guten Ratgeberbuch einen guten Ratschlag gelesen: Man soll ein Tagebuch der Freude anlegen. Nicht ein Tagebuch, wo man alles hineinschreibt. Da steht ja dann auch wieder soviel drin, was einen nur hinunterzieht. Vielmehr: jeden Abend zwei oder drei Dinge aufschreiben, die mir heute Freude gemacht haben. Auch Fotos oder Bilder kann man hineintun. Glückliche Situationen. Im Laufe der Zeit wird daraus ein Kraftbuch. Wenn ich darin lese und verweile, werde ich mich freuen.
Liebe Gemeinde,
Kinder freuen sich auf Weihnachten. Weihnachten ist ein Vitaminfest ersten Ranges. Da wird man in der Regel nicht krank. Und wir haben uns als Kinder – denke ich – auch auf Weihnachten gefreut. Wenn man erwachsen ist und sogar alt geworden ist, wird das anders.
Anders ja,- aber die Freude soll doch nicht verschwinden! Dann wäre unser Leben nur arm geworden oder vielleicht sogar krank. Wir sollten der Freude eine Chance geben. Sie ist leiser geworden, aber vielleicht auch viel tiefer.
Vielleicht können wir einander auch mit Paulus sagen: Freut euch! – und abermals: Freude! Gott ist nahe – so kurz vor Weihnachten allemal. Zeigt eure Güte! Das macht Freude. Es erfreut den anderen und es erfreut euch selber auch.
Und schreibt es in ein Buch. Wenn noch keins da ist, kann man es sich oder auch jedem anderen zu Weihnachten ja schenken.
Wahrscheinlich werden wir erstaunt sein, wie viel Freude wir wirklich – immer noch und immer wieder – haben.
AMEN

Sonntag, 14. Dezember 2008

Predigt über "MARIA - Mutter und Prophetin"

Predigt zum 3. Advent über Lukas 1,46-56

Liebe Gemeinde,
vor einigen Wochen haben wir dort rechts in der Ecke unsere Marienfigur aufgestellt. Ich sage „unsere“, weil sie extra für uns von einem ehemaligen Gemeindeglied geschnitzt wurde. Leider ist der Stifter vor kurzem gestorben.
Für die katholischen Christen ist es nicht ungewöhnlich, dass wir eine Madonna haben. In jeder katholischen Kirche steht ja eine. Evangelische Christen müssen sich erst gewöhnen. Aber es lohnt auch, sich zu gewöhnen, denn Maria, die Mutter Jesu, ist für alle Menschen bedeutsam. Selbst die Moslems verehren sie.
Unsere Kirchen sind in der Regel von männlichen Symbolen bestimmt. Jesus am Kreuz z.B. steht überall im Zentrum. Da ist es gut, dass wir neben diesem Symbol von Macht, Gewalt und Unrecht, einem Widerspruchssymbol, auch noch ein ganz anderes hier haben.
Gott selbst hat ja ganz verschiedene Seiten. Neben der herrscherlichen und richterlichen Seite steht seine Barmherzigkeit und Liebe, sein Schutz, seine Nähe.
Alles das wird uns in der Maria ansichtig.
Allerdings: Maria gehört nicht in die Mitte. Sie gehört an die Seite, an den Rand. Jesus selbst hat sie oft dort hingestellt. Denken wir nur an den 12jährigen Jesus, der zu seinen Eltern, die ihn suchen, sagt: Ich gehöre zu meinem himmlischen Vater. Ihr müsst da zurücktreten.
Oder ein andermal als Nachbarn zu Jesus sagen: Draußen stehen deine Mutter und deine Brüder,antwortet Jesus ziemlich hart: Wer sind meine Mutter und meine Brüder? Nicht die, die es von Fleisch und Blut her sind, sondern die, die den Willen Gottes tun. Das ist meine wahre Familie.
In einer anderen Geschichte aber wird deutlich, dass die „ Maria am Rande“ eine ganz wichtige Rolle spielt. Als bei einer Hochzeit der Wein ausgeht, übernimmt Maria die Vermittlerinnen-Rolle zwischen Jesus und den anderen Leuten. Es geht in der Geschichte nicht darum, dass aus Wasser Wein gezaubert wird – sozusagen als Kunststückchen. Es geht darum, dass aus allem, was nur Wasser ist, etwas ganz Neues, viel Tieferes, etwas mit tieferem Gehalt wird. Die Menschen, die Welt, die Riten und Gebräuche sollen sich durch Jesus wandeln. Alles Verwässerte soll Wein werden. Da hört Maria die Bitten und Wünsche der Menschen. Sie spürt ihre Sehnsucht. Gerade als Frau ist sie sensibler und feinfühliger. Was sie spürt, sagt sie ihrem Sohn. Sie bittet für die anderen: Verwandle in Wein! Er ist ihnen ausgegangen. Sie haben keinen Wein mehr.
Jesus weist sie wieder streng zurück und setzt sie an den Rand. „Weib“, sagt er schroff, - meine Stunde, der richtige Moment dazu ist noch nicht da – und du zwingst mich auch nicht da hinein.
Trotzdem bleibt Maria auf ihrer Spur. Was er sagt, das tut, sagt sie den anderen, als hätte sie die richtige Botschaft für diesen Augenblick.
Maria vermittelt also. Wie eine Mutter tritt sie für die Kinder ein. Und die Kinder fühlen sich bei ihr geborgen und gut aufgehoben. Sie weiß Rat und ahnt das Richtige.
Diese Rolle einer Vermittlerin – das ist überhaupt die wichtigste Rolle, die Maria hat. Manchmal ist es ja gut, dass nicht alles schonungslos direkt geht. Manchmal ist es gut, dass uns jemand zur Seite steht, dass sich jemand für uns einsetzt. Wir fühlen uns dann selber stärker.
Maria ist nun wirklich die Gott-Vermittlerin schlechthin. Durch sie kommt ja Jesus buchstäblich in die Welt. Sie vermittelt ihn der Welt. Sie ist die Mutter.
Je höher man Jesus nun als Gottes-Sohn oder gar als Gott selber dogmatisiert hat, desto höher hat man auch Maria tituliert. Gottes-Gebärerin oder Gottes-Mutter, Mutter Gottes hat man sie genannt und das ausgerechnet zuerst in Ephesus, wo in heidnischer Zeit berühmte Muttergottheiten verehrt wurden. Da ist einiges zusammengeflossen, und es besteht womöglich die Gefahr, dass Maria auf einmal sogar noch wichtiger wird als Gott. Als wäre sie die Gottes-Basis, seine Mutter.
Dann ist es gut, sich daran zu erinnern, dass Jesus Maria an den Rand gerückt hat. Da ist sie wichtig, da soll man sie auch lassen. Niemand soll sie ins Zentrum rücken, aber niemand soll sie auch ganz aus dem Bild drücken als bräuchte man sie nicht.

Noch eine andere Frage ist wichtig, wenn wir über Maria nachdenken.
Was für eine Maria meinen wir denn, wenn wir von ihr sprechen?

Maria ist im Laufe der Jahrhunderte zur Projektionsfläche für viele Bilder und Ideen geworden. Menschen haben ihre Vorstellungen und Wünsche in sie hineingelegt.
Auch unsere Maria hier in Alanya ist nur ein ganz bestimmtes Bild. Sie ist eine junge, hübsche, mädchenhafte Frau, etwas verspielt, fast süßlich zu nennen. Man könnte ihr jedes Baby in den Arm legen. Dieses liebliche Bild hat für die Gefühle vieler Menschen eine große beruhigende Rolle gespielt. So lieblich und schön,- da stellt man sich gerne unter ihren Schutz oder in ihre Nähe.
Das Bild der Maria in der Bibel ist aber ganz anders. Die Bibel zeigt eine aufgewühlte und aufwühlende Maria.
Ich muss etwas weiter ausholen: Mose hatte eine Schwester, die hieß auch Maria. Miriam. Nach dem gefährlichen Auszug aus Ägypten, wo es um Leben und Tod ging und Sieg oder Untergang auf Messersschneide stand, singt und trommelt die Miriam, als alles glücklich vorüber war, kraftvoll ein Siegeslied. Das ist eine politische Maria. Sie weiß, dass die Welt sich jetzt ändert, ja geändert hat.
Davon weiß die Maria aus Nazareth auch viel. Wir haben es in ihrem Lied, dem Magnifikat, gerade gehört: Du, Gott, hast meine Niedrigkeit angesehen und große Dinge an mir getan. Mir, der Magd. Alle Menschen werden mich ewig preisen. Warum denn?
Weil Maria ein Modell dafür ist, wie Gott handelt. Er macht klein, was sich menschlich groß und mächtig brüstet, was sich wichtig vorkommt und wichtig nimmt. Und er erhebt die Niedrigen. Das tut er immer so – jedenfalls auf lange Sicht, auch wenn die Menschen es nicht immer sofort erkennen.
In dem Lied der Maria wird eine ganze Weltordnung umgestürzt. Das alte, schale Wasser aller menschlichen Verhältnisse soll endlich tiefer, guter Wein werden.
Maria ist dafür selber ein 1. gutes Beispiel. Durch sie tritt das Gottes-Zeichen – Jesus – in die Welt. Wenn wir auf ihrer Seite stehen, wird sie bei uns sein – und wir werden uns in ihr und - ebenso wie sie - in Gott geborgen fühlen. Wir werden Gottes Kraft selbst in uns spüren und in uns wissen – je tiefer unten wir sind oder uns fühlen.

Liebe Gemeinde,
wir gehen auf Weihnachten zu – mit schnellen Schritten. Das ist ja unser schönstes christliches Fest: Gott selbst kommt in unsere Mitte und er verwandelt stetig die Welt. Das fängt immer neu im Herzen von Menschen an. Aber die Welt braucht es auch immer wieder und immer dringlicher. Es ist viel Unglück und Unrecht durch unsere Religion in die Welt gekommen. Aber wer weiß, wie die Welt wohl aussähe, wenn es die Intervention Gottes nicht gegeben hätte und gäbe? Gottlosigkeit ist nach allem, was wir überall sehen, keine Gewähr dafür, dass irgendetwas in der Welt oder für die Menschen besser wird.
Gepriesen sei deshalb die Frau, durch die die größte Intervention Gottes, der größte Einspruch Gottes in die Welt gekommen ist: Maria – die Mutter Jesu. Die Prophetin Gottes. Sie ist uns Vorbild und Hilfe zugleich. Deshalb steht sie da an unserer Seite, am Rande. Und wenn wir ein ganz besonderes Anliegen haben, eine Bitte, einen tiefen Wunsch, können wir vor ihr eine Kerze anzünden oder eine Blume an ihren Platz legen, damit Gott uns sieht und hört.
AMEN

Sonntag, 7. Dezember 2008

Zacharias und Elisabeth - ein älteres Ehepaar

Predigt zum 2. Advent - Lukas 1,5-25

Liebe Gemeinde,
Zacharias und Elisabeth sind ein altes, oder sagen wir älteres Ehepaar. Zacharias ist Tempelpriester in Jerusalem. Das Ehepaar ist kinderlos – und das ist in diesem Falle besonders schmerzlich, weil man in Israel das Priestertum vom Vater auf den Sohn vererbt. Zacharias hat also keinen Erben, und Elisabeth fühlt sich daran schuldig. Es ist eine Schmach. Sie kann nicht mehr mit erhobenem Haupt durch die Welt gehen.
Zacharias hat lange Zeit gehofft, aber jetzt hat er das Hoffen aufgegeben. Es wird nichts. Mit der Enttäuschung muss man leben.
In diese Situation kommt nun ein Engel. Wir kennen sogar seinen Namen: Gabriel. Er ist der Verkündigungsbote Gottes, sein Botschafter.
Was dieser Engel dem Zacharias zu sagen hat, muss diesem nun höchst wunderlich vorkommen: nun doch noch ein Sohn?! Das kann er nicht glauben und noch weniger annehmen.
Wir glauben es ja auch nicht – wenn es nur um die Biologie ginge. Aber es geht nicht um die Biologie oder die Medizin, um die Gynäkologie oder die Andrologie. Es geht um weitaus mehr.
Wenn etwas ganz Neues geschieht, Ungewöhnliches, etwas, was nicht aus dem Normalen abzuleiten ist, etwas, für das es keine normalen Erklärungen gibt, - dann hat die Bibel zwei Mittel, das deutlich zu machen. Einmal erreicht alte Menschen, die weit über die Zeit hinaus sind, das Neue – in diesem Falle ein Sohn. Das ist bei Abraham und Sara so, bevor Isaak geboren wird, und bei Hanna , der Mutter des Propheten Samuel und jetzt bei Zacharias und Elisabeth, den Eltern von Johannes dem Täufer.
Das andere Zeichen ist die Jungfrauengeburt, wie wir sie von Maria und Jesus kennen,- noch wunderbarer, noch unerklärlicher.
Interessant ist nicht die Frage, ob das biologisch-medizinisch wahr oder möglich ist, ob das überhaupt sein kann. Interessant ist, ob wir erkennen, dass damit das Ungewöhnliche, das absolut Neue beginnt.
Das will die Bibel mit solchem Geschehen ausdrücken: Jetzt geschieht etwas, was keiner erklären kann. Etwas, das aus dem Normalen herausfällt. Etwas, das nicht eine Fortsetzung des Alten und Gewohnten ist. Jetzt wird die Welt neu geschaffen.
Und so geht es nun auch bei Zacharias weiter. Der Sohn, den er haben wird, wird kein Priester werden. Er wird nichts erben oder einfach aus der Hand des Zacharias übernehmen. Johannes der Täufer wird ein Prophet sein.
Propheten aber beginnen immer mit dem Nichts. Sie stehen nicht in einer Traditionsreihe wie die Priester. Propheten beginnen aus Gott neu. Sie pfeifen auf Gewohnheiten und Traditionen, stehen kritisch zu ihnen, je heiliger sie sind.
Der Engel kehrt alles um. Bisher ging alles seinen traditionsreichen Lauf. Vom Vater ging es auf den Sohn und dann so weiter. Jetzt – sagt er – werden sich die Herzen der Väter bekehren zu den Kindern. Also es ist jetzt umgekehrt: die Väter folgen den Kindern.
Ein neuer Weg beginnt – und die Alten sollen sich auf das Junge verlassen, und nicht umgekehrt, wie es immer war.
Das glaubt Zacharias nicht. Das will er nicht glauben. Wo gibt es Anzeichen dafür? Woran soll ich deine Behauptungen als wahr erkennen? – sagt er.
Meine Frau und ich, wir sind alt – und wollen es auch bleiben. Neues ist nichts mehr für uns. Warum störst du uns und bringst Unruhe? – scheint er den Engel zu fragen. Wir haben doch schon abgeschlossen.
Ich bin Gabriel – sagt der Engel. Ich komme von Gott. Es ist so – und du wirst es nicht ändern. Deshalb wirst du jetzt schweigen, verstummen bis es geschehen ist.
Das ist keine Bestrafung, sondern eine Notwendigkeit. Zacharias muss seinen widersprechenden Mund halten, damit sich das Neue vorbereiten kann. Wenn es da ist, wird er auch wieder reden können. Er wird sich einstimmen auf das Neue, sich bekehren zu seinem Kind, sich ihm mit dem Herzen zuwenden.
Er tut es dann auch so. Genauso geschieht es. Er schweigt, und als er den Mund wieder aufmacht, spricht er nicht nur, er singt gleich ein Lied: Ich singe die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe.
So kommt das Neue in die Welt.
Von Elisabeth hören wir in der ganzen Geschichte nicht viel. Sie lässt das Neue geschehen. Sie wird von der schwangeren Maria besucht – und beide schwangere Frauen freuen sich gemeinsam über das Unbegreifliche.

Aber, liebe Gemeinde, was soll das Ganze nun? Ist das nur eine schöne Geschichte aus alter Zeit? Schön anzuhören, aber sagt sie uns auch etwas?
Gewiss. Mit ihr ist auch uns ein Zeichen gegeben.
Wir leben so oft in eingefahrenen Gleisen. Erst recht, wenn wir alt und älter werden. Wir denken gerne, dass da nichts mehr kommt. So sind wir es zufrieden. Es ist gut, dass alles so bleibt, wie es ist. Mein Leben ist ja gelaufen. Warum soll ich mich noch um Neues kümmern?
Menschen, die lange hier leben oder lange hier Urlaub machen, leben ja in gewisser Weise wie auf einer Insel. Man sieht zwar Fernsehen, aber überwiegend doch die Unterhaltungsprogramme.
Es könnte ja sein, dass sich im Moment ganz viel tut in der Welt – und wir kriegen es gar nicht richtig mit. Zig Tausende – vor allem in Amerika - haben auf Pump gelebt und sich mit billigen Krediten ein Leben erkauft, das noch gar nicht erarbeitet oder verdient war. Jetzt stagniert der ganze Laden. Und wieder soll mit neuem Pump-Geld der Motor angekurbelt werden, obwohl er doch schon heiß gelaufen ist. Wie lange soll das noch so weitergehen?
Wir wollen gerne im Alten weitermachen – wie Zacharias. Wie aber – wenn uns ein Neues bestimmt ist?! Und nicht bei den Jungen soll es beginnen, sondern gerade die Alten sollen es zuerst erfahren und begreifen: es geht nicht immer so weiter. Aber es geht auch nichts einfach zu Ende. Weltuntergang ist nicht. Es kommt ein anderes, ein Neues – und vielleicht ist es ja besser als die alte kapitalistische Pump- u.Kreditgesellschaft mit ihrer Menschenausbeutung, Umweltzerstörung und ihrem Konsumwahn.
In der vergangenen Woche rief mich jemand an, um mir zu sagen, dass er am letzten Sonntag beobachtet hätte, dass die Leute mit demselben versteinerten Gesicht den Gottesdienst verlassen hätten, wie sie in ihn hineingekommen wären. Ob das nicht frustrierend für mich als Prediger sei? Eigentlich hätte doch der Engel jedem etwas Befreiendes ins Ohr flüstern müssen, etwas Neues, das froh und glücklich macht.
Ja, weiß ich und mein Anrufer denn, ob der Engel das nicht vielleicht sogar doch getan hat?!
Manche müssen wie Zacharias erst einmal stumm werden, bevor sie das Neue erkennen, begreifen und wirken lassen.
Die Weihnachtsgeschichte, auf die wir ja zugehen, kündet uns immer – jedes Jahr – das Neue. Gottes Neu-Anfänge – ob sie psychisch oder politisch, vielleicht sogar oekonomisch zu verstehen sind. Die Weihnachtsgeschichte will unser Herz berühren, dass es lebendig bleibt – egal wie alt wir sind. Solange wir leben.
Dasselbe sagt uns heute schon die Geschichte von Zacharias und dem Engel Gabriel: Hör nur in dich hinein! – sagt sie. Höre auf Gott!- dann wird alles neu – auch Du und Dein altes Herz.
AMEN

Sonntag, 30. November 2008

DIE ENGEL

Predigt über die Engel - zum 1. Advent 30.11.2008

Liebe Gemeinde,
mit diesem Sonntag beginnt ein neues Kirchenjahr. Neues beginnt und an der Schwelle zum Neuen hält man gerne inne, um aufmerksam zu lauschen, was uns das Neue sagen und bringen könnte.
Zugleich beginnt mit dem 1. Advent die Vorbereitung auf Weihnachten. Die Weihnachtszeit. Advent.
In diesen Vorweihnachtswochen haben nun einige Gestalten Hochkonjunktur, die wir alle gerne haben, von denen aber die wenigsten wissen, wer sie wirklich sind. Ich meine die Engel.
Man kann in den letzten Jahren geradezu von einer Renaissance der Engel sprechen. Es ist merkwürdig. Wo die traditionelle Religion immer schwächer wird, so dass man geradezu von einer allgemeinen Verdunstung des Glaubens gesprochen hat, erscheinen plötzlich überall Engel auf der Bildfläche als sprössen sie wie Pilze aus dem Boden. Überall kann man Engelsfiguren und Figürchen kaufen – vom Schlüsselanhänger bis zur kostbaren Porzellanfigur. Massenhaft Bücher über Engelthemen werden in den Buchhandlungen angeboten. Überall Engel.
Auch in den Weihnachts – u. Adventgeschichten tauchen sie auf. Diese Engel gehören zu den Bildern unserer Kindheit.
Der Verkündigungsengel kommt zu Maria. Ein anderer Engel erscheint dem Zacharias, Vater von Johannes dem Täufer. Wieder ein anderer erscheint dem Josef im Traum, um die Hl. Familie vor dem Schlimmsten zu bewahren. Tausende Engel sind in der Nacht von Bethlehem unterwegs, um den Menschen Frieden zu wünschen und zu singen und um Gott zu loben.
Aber die Menschen wünschen sich auch offensichtlich Engel als Begleiter.
Bei den Taufen gibt man Kindern einen Bibelvers als Lebensvers mit. In 9 von 10 Fällen haben sich Eltern in den letzten Jahren bei mir den Vers aus dem 90. Psalm für ihre Kinder gewünscht: Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie Dich behüten auf allen deinen Wegen.
Man wünscht sich Engel als Schutzmächte, Schutzengel eben.
Anselm Grün, ein Benediktinerpater, ist auf die Idee gekommen, Engel mit allen möglichen Werten zu verbinden. Da gibt es den Engel des Friedens, der Versöhnung, der Gerechtigkeit, der Freude u.s.w. So werden die Werte personifiziert. Sie bekommen eine Gestalt. Sie rücken uns näher.
Auch in der jüdischen Religion und im Islam spielen die Engel eine große Rolle.
Was sind das eigentlich für Wesen – und warum brauchen die Menschen sie so sehr und so gerne?
Das Wort Engel heißt „Bote“. Engel sind Boten und sie haben eine Botschaft. Engel kommen also irgendwo her und sie bringen etwas irgendwo hin. Von da nach da. Engel sind Mittlergestalten. Es sind Zwischenwesen. Sie stehen zwischen Gott und den Menschen aber nicht als Trennende oder Verdunkelnde, sondern als Vermittelnde, als Verbindende.
Sie vermitteln etwas von Gott. Es fließt etwas von Gott durch sie hindurch. Und sie begleiten den Menschen mit ihrer Botschaft auf seinem Weg.
Kann Gott das nicht auch alleine? Natürlich kann er – und das tut er auch. Aber die Menschen sind viele. Millionen über Millionen. Sie möchten das Gefühl haben, ganz persönlich gemeint zu sein und ganz individuell begleitet zu sein. Dabei hilft ihnen der persönliche Engel. Mein Engel sozusagen!
Also Engel – das sind Kräfte und Mächte Gottes, aber in vielfältiger ganz persönlicher Form, so wie es der Einzelne braucht. Wie es für ihn gut ist. Das ist nicht bei jedem das Gleiche. Es ist verschieden. Deshalb gibt es mindestens so viele Engel wie es Menschen gibt.
Aber wie spürt man nun seinen Engel? Was sagt er mir denn? Welche Botschaft hat er für mich?
Vor einigen Jahren ist in Amerika ein Buch erschienen, das schnell zu einem Bestseller wurde und dann auch bald verfilmt wurde. Es heißt: Der Pferdeflüsterer. Darin erzählt ein Mann, wie er durch geduldiges und vorsichtiges Flüstern ins Ohr von Pferden diese armen Tiere geheilt hat. Sie waren durch schlechte Behandlung, falsches Zureiten, durch Quälerei oder was auch immer ganz traumatisiert, verwundet und verletzt worden. Er hat ihnen das Richtige eingeflüstert. Er hat sie durch Flüstern zurechtgerückt, so dass sie gesund, heil werden konnten.
Ich möchte nun einmal behaupten: Engel – das sind Menschenflüsterer.
Fast alle Menschen sind auch durch falsche Behandlung, durch böse Erlebnisse, durch Lebensgeschick traumatisiert, verwundet, verletzt worden. Und genau wie die Pferde, so entwickelt auch ein jeder Mensch seine eigene Strategie sich zu schützen.
Zum Beispiel: Viele reden nur noch, damit sie gar nicht mehr erst hören müssen, was ein anderer sagt. Andere sehen das ganze Leben nur in ihren eigenen ganz engen Verständnisschienen und können nichts mit den Augen anderer sehen. Sie haben so nur ihr eigenes enges Bild von der Welt und halten das für das wahre und einzige.
Andere sind eingebildet und stolz und kreisen nur um sich, stehen über allem und allen.
Wieder andere sind aggressiv, stachelig und igelig. Manche sind empfindlich, vor allem, wenn man ihnen etwas sagt. Für das, was sie anderen zumuten, haben sie viel weniger Sensibilität.
Alles das sind Taktiken, mit denen sich einzelne zu schützen versuchen. Sie meinen, dass wären die Wege, die etwas in der Welt oder für sie selbst besser machen könnten.
Aber es stimmt nicht!
Manchmal in lichten Momenten wundern wir uns ja, dass gar nichts besser wird – auch wenn ich mich noch so bemühe. Ganz im Gegenteil: Je älter ich werde, desto schlimmer wird es. Meine Strategie ist eben keine Lösung. Sie ist gar kein Weg, eher ein Holzweg, auf dem ich da gehe.
Genau da kommen nun die Engel ins Spiel. Sie flüstern uns beharrlich die Wahrheit ins Ohr. Das tun sie nicht böse oder strafend oder anklagend. Sie tun es nur so, dass wir es annehmen können – vorausgesetzt wir hören sie. Vorausgesetzt wir hören überhaupt hin und sind nicht nur mit unserem Eigenen beschäftigt.
Wir brauchen eine wirkliche Sensibilität für die Engel. Ohne eine Bereitschaft zu hören und zu sehen, hören wir von ihnen gar nichts. Wenn wir nicht aufhorchen, bleiben wir in unseren bekannten Kreisläufen gefangen bis zum bitteren Ende. Es kommt immer wieder im Leben das Gleiche, ob wir in Deutschland sind, oder in der Türkei, Im Himmalaja oder auf Bali – ganz egal.
Erst wenn wir auf die Engel hören, beginnt sich etwas zu ändern, werden wir gesund, voll, ganz, heil.
Engel sind Menschenflüsterer. Sie können in 1000 verschiedenen Gestalten zu uns kommen und in vielen Worten und Sprachen zu uns sprechen. Wenn wir wissen, dass das, was ich da höre, stimmt, und wenn wir ganz getroffen und betroffen sind – dann ist es ein Engelswort. Wir merken es schon.
Aber bloß nicht zu schell! Ganz vorsichtig damit! Es gibt auch falsche Einflüsterungen! Wir betrügen uns auch gerne selber, weil wir es gerne bequem und leicht haben. Wir hören nur zu gerne auf die leichten Wahrheiten. Aber die Wahrheit ist nicht leicht und schon gar nicht bequem.
Aber nur sie lohnt sich.
An den nächsten Adventssonntagen wollen wir noch einmal auf einige Engelsbotschaften hören. Was sagt der Engel z.B. dem alten Zacharias und der alten Elisabeth? Und was sagt er der jungen Maria ins Ohr? Was sagen und singen die Engel in der Heiligen Nacht auf den Feldern? Sie haben alle etwas in die Ohren zu flüstern – auch uns.
Das Wichtigste aber ist, was mein Engel mir sagt. Er ist ein Menschenflüsterer. Er sagt mir das Wichtigste und Richtigste für mein Leben.
Es wäre schade, wenn ich das immer überhören und verpassen würde, nur weil ich nicht richtig hinhöre oder keine Zeit für ihn habe.
AMEN

Freitag, 28. November 2008

Bericht über Arbeitsschwerpunkte in der Christlichen Gemeinde Alanya 2008

Jahresbericht 2008 über die Arbeit der Christlichen Gemeinde deutscher Sprache in Alanya zur Vollversammlung des St. Nikolaus-Vereins am 27.11.08 in Antalya

Für die Arbeit der Christlichen Gemeinde in Alanya schälten sich im Jahr 2008 drei Schwerpunkte heraus:
Die Akzeptierung des Gottesdienstraumes im Keller des Städt. Kulturzentrums auf mittelfristige Zeit und die Gottesdienst-würdige Ausgestaltung des Raumes.
Aufbau einer Gemeindearbeit im Zentrum der Norwegischen Seemannskirche „Det Norske Hus“.
Aufbau einer Gemeindestruktur für die Christliche Gruppe Alanya im St. Nikolaus-Verein.
I
Die Gemeindegruppe hat den Gottesdienstraum angenommen. Es bleiben Beschwerden wegen der Kellerlage, ungewöhnlich feuchter Wärme, mangelnder Belüftung und Klimatisierung während der Sommermonate und wegen mäßiger Akustik.
Der Raum bleibt ein Provisorium.
Es wurden angeschafft:
Ein neuer Bodenbelag im Altarbereich
Ein roter Vorhang für die Altarwand
Ein Ambo
Ein runder Altartisch
Ein Ständer für die Osterkerze bzw. Adventskranz
Ein viereckiger Sakristeitisch
Verschiedene Altardecken
Alle Gegenstände wurden aus früheren Kollekten und einer zweckgebundenen Einzelspende finanziert.
Ein Altarkreuz, ein Ikonenkreuz, Abendmahlsgeräte und Kerzenteller aus Onyx wurden gestiftet.
In den Monaten April – September zahlte die Gemeinde aus den Kollekten einen Mietpreis von 20 Lira(10 Euro) pro Gottesdienst an das Kulturhaus.
Mit der neuen Ausstattung wurde ein würdigerer Gottesdienstraum geschaffen, in dem die Gemeinde sich relativ wohlfühlt und sich zahlreich (ca 30-90 Personen) zum Gottesdienst versammelt. Auch die niederländische, norwegische und finnische Gemeinde benutzt den Raum.

II
Seit September 2008 kann die Gemeinde das Norwegische Kulturzentrum (Seemannskirche) am Montagvormittag und Dienstagnachmittag nutzen. Sie zahlt dafür 200 Lira monatlich Miete.
Am Montagvormittag finden verschiedene Gesprächsrunden und – bisher einmalig – ein Gemeindefrühstück mit ca 35 Teilnehmern zu dem Thema „Vorurteile zwischen Deutschen und Türken“ statt.
Dienstagnachmittag findet regelmäßig als Treffpunkt ein Gemeindecafe mit 25 – 40 wechselnden Besuchern statt.
Außerhalb der festen Zeiten fand am Samstag, den 22.11. von 15 – 18 Uhr ein 1. Gemeindefest statt mit ca. 100 Besuchern.
Die Arbeit trägt sich selbst aus Spenden, es bleibt sogar ein Überschuss für Anschaffungen.

III
Zu einer ordentlichen Gemeinde (auch im St. Nikolausverein) gehören eine Leitungsstruktur und eine solide wirtschaftliche Grundlage.
Deshalb wurde als internes Leitungsgremium ein Gemeindebeirat installiert, der aus den gewählten Funktionsträgern des Nikolausvereins und hinzu berufenen Gemeindegliedern besteht.
Die Gründung eines losen Freundeskreises mit Spendenselbstverpflichtung zur materiellen und ideellen Unterstützung der Kirchenarbeit wird noch kontrovers diskutiert. Die Richtung ist angegeben, aber der Zeitpunkt, sie einzuschlagen ist noch nicht reif.

Pfarrer i.R. Rainer Wutzkowsky

Montag, 24. November 2008

Predigt vom Ewigkeitssonntag am 23.11.2008 in Antalya

Predigt über TOD und LEBEN

Liebe Gemeinde,
dieser letzte Sonntag im Kirchenjahr ist in Deutschland ein sehr geprägter Sonntag. Evangelischerseits wird er auch Totensonntag genannt – und man geht wie an Allerheiligen zu den Gräbern. Da der Tod aber in der Kirche nicht das letzte Wort haben soll, hat man diesen Sonntag auch Ewigkeitssonntag genannt. Und Ewigkeit hat wieder viel mit dem „Jüngsten Gericht“, dem Endgericht zu tun – und das führt uns zu Christus, dem Weltenherrn und König. So heißt dann katholischerseits dieser Sonntag auch „Christkönigsfest“.
Das alles gibt uns nun für heute unser Thema vor: Tod und Leben – und Christus, der der Herr über Tod und Leben ist.
Tod und Leben –wir meinen immer, das seien zwei ganz verschiedene Dinge. Die existierten gewissermaßen nebeneinander: Solange das Leben ist, ist kein Tod. Und wenn der Tod ist, ist kein Leben mehr.
So haben das auch die antiken Philosophen schon gesehen. Was regt ihr euch über den Tod auf? - sagt Heraklit. Solange das Leben ist, ist er nicht. Wenn ihr aber tot seid, lebt ihr nicht mehr. Also beunruhigt euch nicht. Was kümmert das eine das andere?!
Aber so einfach ist das nicht. So säuberlich kann man beides im wirklichen Leben nicht trennen. Das ist nur Theorie, Philosophie eben. Die Gedanken kann man so vielleicht beruhigen, die Gefühle aber nicht.
Christlicherseits müsste man sogar sagen, beides steht nicht nebeneinander, sondern beides gibt es immer nur ineinander: wo Tod ist, da ist auch Leben, und wo Leben ist, da ist auch Tod. Dieses Ineinander müssen wir tiefer bedenken.
Zu den wichtigsten Fragen des Menschen gehören diese beiden: Woher komme ich? Wohin gehe ich?
Keiner ist zufrieden mit dem, was er hier lebt oder erlebt. Jeder fragt irgendwann und irgendwie im Leben einmal darüber hinaus. Und da stößt er nun an Grenzen – und manchmal sind diese wie Mauern, ohne Durchlass, ohne Tor.
Was war vorher? Was kommt danach?
Keiner weiß es, aber alle spekulieren und möchten gerne mehr wissen.
Gibt es wirklich kein Loch in dieser Mauer? Kein Tor?
Doch, denke ich. Es gibt eines. Einmal heißt es Geburt und einmal Tod.
Dabei ist nun den Menschen immer aufgefallen, wie ähnlich beides ist, obwohl es oberflächlich gesehen ja als das genaue Gegenteil erscheint.
Viele sagen: Neugeborene Kinder sehen oft richtig alt aus. Sie sind runzelig, verfleckt – als kämen sie aus einem langen Leben. Als wäre ihre Seele schon alt, auch wenn sie gerade eben erst neugeboren ist.
Und andrerseits: Oft fällt auf, dass Tote ganz friedlich und ruhig, fast zufrieden und lächelnd aussehen, als wären sie nach einem schweren Kampf ruhig und erholt, wie neugeboren.
Könnte es nicht sein, dass beides – Geburt und Tod – wie e i n Tor ist, durch das man von der Ewigkeit ins Leben und aus dem Leben in die Ewigkeit tritt? Die Zeichen davon sehen wir am Leib. Die Geburt zeichnet den Menschen wie der Tod. Und der Tod zeichnet den Menschen wie eine Geburt zu einem neuen Leben.
Nun soll es uns heute aber in besonderer Weise nur um das eine Tor, den Tod gehen.
In der katholischen Kirche gibt es die Vorstellung vom Fegefeuer. Das ist eine Art Reinigungsfeuer. Jeder Mensch muss durch dieses Feuer hindurch, damit er wie Silber im Feuer von Schlacken befreit wird. Damit er rein ist, so wie Adam und Eva im Paradies rein waren.
Ich glaube, dass für jeden Menschen schon der Tod selber wie eine Art Fegefeuer ist. Jeder muss da hindurch, um alle Last des Lebens los zu werden. Er muss a l l e s loslassen: das Schöne und Gute, alles Erworbene, jeden Besitz. Nichts kann er mitnehmen. Das Totenhemd hat keine Taschen, sagen wir. Aber er muss auch loslassen, was ihn belastet, was seine Seele schwer macht, alle Schuld, alles Versagen, alles, was auf ihm liegt, alles, was im Leben unvollendet, Fragment geblieben ist. Er soll praktisch ohne Gewicht, ohne Last auf die andere Seite gehen. Deshalb hat sich Franziskus – wie man erzählt – zum Sterben nackt auf den Erdboden legen lassen. Er hat alles losgelassen. Er war frei und gereinigt. So ist er durch den Tod hindurchgegangen. Er nennt ihn Bruder, Bruder Tod.
Dieses Loslassen nennen wir in der Regel “Todeskampf“. Wir hängen am Leben und an allem, was es bietet. Das soll auch so sein. Das ist menschlich. Und trotzdem müssen wir lernen, los zu lassen.
Wie bei allem im Leben schaffen es einige Menschen besser und andere tun sich schwerer damit. Es hängt auch davon ab, was man im Leben vorher schon eingeübt hat. Ob man nur zu sehr festhält oder auch schon hier im Leben ganz bewusst los gelassen hat.
Eines steht fest: an dem letzten Loslassen kommt niemand vorbei! Durch das Nadelöhr des Todes müssen wir ja alle. Also ist es gut, sich darauf vorzubereiten. Wir tun uns so schwer damit, weil wir nicht wissen, was uns auf der anderen Seite erwartet. Deshalb haben wir manchmal Angst davor – und Angst lässt festhalten. Das sehen wir schon an kleinen, ängstlichen Kindern, die sich an ihre Eltern klammern.
Was auf der anderen Seite ist, w e i ß ich auch nicht. Aber ich habe eine Hoffnung, einen Glauben, ein begründetes Vertrauen:
Am vorigen Wochenende war ich in Istanbul. Dort steht – direkt hinter der alten Stadtmauer – eine alte byzantinische Kirche. Die Chorakirche, heute ein Museum. Sie enthält herrliche Mosaiken und wunderbare Fresken, die man unter alten Verkleisterungen gefunden und wieder hervorgeholt hat. In einer Seitenkapelle sieht man auf einem großen Fresko, wie ein starker, kräftiger Christus – fast als hätte ihn ein Michelangelo 300 Jahre vor seiner Zeit gemalt – zu seiner Rechten Adam und zu seiner Linken Eva aus ihren Gräbern reißt. So zieht Christus alle Menschen durch Tod und Grab. Er zieht sie mit Macht und großer Gebärde daraus hervor ins Leben hinein. Er reißt ins Leben.
Das ist der Christus-König vom Jüngsten Gericht.
So glauben wir: Dass wir durch Tod und Grab hindurch ins Leben gehen. Christus reißt uns hindurch. Der Tod ist nur die schmerzliche Gestalt einer neuen Geburt.
AMEN

Mittwoch, 19. November 2008

Neues von der Presse

In der letzten Sonntagszeitung der Faz (vom 16.11.08) steht ein Artikel über die "Deutsche Kolonie" in Alanya. Auch unsere Christliche Gemeinde wird erwähnt.

Dieser Artikel ist - wie gewohnt - etwas klischeehaft geraten. Ich weiss gar nicht, ob es den erwähnten "Rudi aus Bottrop" und seine Frau Gisela wirklich gibt, oder ob sie nur virtuelle Klischeefiguren sind, über die man an einem nebligen Novembersonntag in Deutschland hinter dem Ofen eben gerne liest.

Trotzdem ist der Artikel auch nicht ganz falsch. So sieht man von aussen eben manches und manche wirken auch von aussen eben so. Der Artikel hält uns also einen Spiegel vor - auch wenn der karikaturhaft verzerrt, wie in manchen Geschäften, wo die Spiegel dicker oder dünner machen.

Ich habe zu dem Artikel "Sommer, Sonne, Fettgeruch" einen Leserbrief an die FAZ geschrieben.Weil ich nicht sicher bin, ob sie ihn auch abdruckt, stelle ich ihn schon einmal in diesen Blog.

Leserbrief zu Ihrem Artikel „Sommer, Sonne, Fettgeruch“ in Nr. 46 vom 16.11.08

Über Integration von Türken und Deutschen im jeweiligen Ausland müsste man natürlich viel differenzierter berichten als das ein Sonntagsartikel tun kann.
Auch d e n deutschen Rentner gibt es natürlich nicht – sogar nicht in Alanya.
Zu schnell kommt man daher wohl auf die längst bekannten Vorurteile über „Rudi aus Bottrop“ an der türkischen Riviera, oder zankende Alte im „Seniorenheim“ Alanya an der Sonnenküste. Es gibt hier wirklich auch noch genügend andere.
Viel interessanter aber sind die letzten Sätze in Ihrem Artikel:…die Deutschen begnügen sich mit Gottesdienst im Kellerloch …
Die Türken mussten sich ja auch lange genug in Deutschland mit Hinterhof-Moscheen begnügen. Wenn jetzt endlich schöne Moscheen gebaut werden, dann, weil viel Geld unter Türken dafür gesammelt wird.
Interessant wäre es, zu sehen, was hier in der Türkei geschehen würde, wenn Christen in der Türkei und in Deutschland auch Geld für nur e i n e Kirche zusammenbringen könnten,- denn eine schöne Kirche hätten wir hier nur zu gerne. Aber dazu reicht die Kraft des Christentums wohl nicht mehr aus. Weder in Deutschland noch bei den „reichen“ Rentnern hier.
Sie haben übrigens vergessen zu schreiben, dass wir als Christliche Gemeinde in dem Keller, der uns freundlicherweise von den türkischen Behörden zur Verfügung gestellt wird, trotz alledem eine Menge gegen borniertes Verhalten von Deutschen im Ausland und den allgemeinen spirituellen Verfall unserer Landsleute tun können.
Das ist doch auch schon was – und viel anders hat das Christentum vor 2000 Jahren hier in der Türkei auch nicht angefangen.
Mit freundlichem Gruß
Pfarrer i.R. Rainer Wutzkowsky in Alanya

Darüber sprechen müsste man!

Montag, 10. November 2008

Predigt über Matth.5, 6 u.10 GERECHTIGKEIT

Predigt über Matth. 5, 6 u. 10: Die Gerechtigkeit

Liebe Gemeinde,
heute hören wir zum letzten Mal auf einen oder besser auf zwei Sätze aus den Seligpreisungen Jesu. In den letzten Wochen sind wir an diesen Sätzen entlanggegangen, die uns einen Weg zum Leben zeigen.
Viele Menschen sind hier in der Türkei, weil sie gut und gerne leben wollen. Die Touristen sind hier, weil sie sich erholen wollen. Menschen, die sich hier niedergelassen haben, sind hier, weil die Sonne länger und wärmer lacht als in Deutschland – und weil das Leben günstiger ist als zuhause. Für`s gleiche Geld kann man sich mehr erlauben. Das Leben hier tut gut, man fühlt sich wohl.
Aber irgendwann merken wir: das ist nicht alles. Das kann nicht alles sein. Ich karikiere: Nur am Strand zu liegen, ist auf die Dauer auch langweilig. Nur auf der Atatürk hin und her zu laufen, ist auch nicht so prickelnd. Auch alles Neue oder die Neuen sind ja doch nur immer wieder die Alten. Essen alleine reicht nicht – und T-Shirts habe ich jetzt schon ein Dutzend und mehr. Es reicht.
Leben allein reicht nicht zum Leben.
Deshalb haben wir uns in den letzten Wochen mit der Einfachheit, mit der Trauer über Verpasstes und Verlorenes, mit Barmherzigkeit, Milde, Friedenskraft, mit dem reinen Herzen und dem armen d.h. freien Geist beschäftigt. Das sind andere Werte zum Leben. Durch sie bekommt das Leben mehr Tiefe. Das ist eine andere Welt.
Heute geht es um ein letztes Thema. Zwei Sätze sogar behandeln diesen Wert in den Seligpreisungen. Er muss Jesus in besonderer Weise wichtig sein.
Es ist die Gerechtigkeit.
In der 4. Seligpreisung – also mittendrin – sagt er:
Glücklich sind die, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie werden gesättigt werden.
Und in der 8.Seligpreisung – in der letzten – schließt er:
Glücklich sind die um der Gerechtigkeit willen verfolgten, denn ihnen gehört das Himmelreich.
Da hat jemand also etwas nicht. Deshalb hungert und dürstet er oder sie danach. Wenn man genug gegessen hat, ist man satt. Aber das gilt nur für den Hunger. Beim Durst gibt es kein entsprechendes deutsches Wort für „satt“. Wie sagt man das, wenn jemand genug getrunken hat? Die Alkoholiker machen vielleicht Witze darüber,- aber lustig ist es ja nicht. Die spirituellen Menschen wissen, dass Durst nicht „gesättigt“ werden kann. Durst bleibt immer – und d.h. ich bleibe auf dem Weg. Ich suche weiter. Deshalb soll man sich auch in dieser Suche einsetzen bis hin zur Verfolgung. Dann – sagt Jesus – erst dann gehört ihnen das Himmelreich.
Mein Haus ist mein Himmelreich, mein Auto, mein Urlaub, meine Frau oder mein Mann – sagen wir wie in der Werbung. Jesus sagt in der 1. Seligpreisung: Wer frei im Geiste ist, wer sich nicht abhängig macht von den Meinungen anderer, wer nicht zum Knecht von Dingen wird – Haus, Auto, Pferd, Boot etc. – dem gehört das Himmelreich. Und jetzt am Ende der Seligpreisungen sagt er: Wer sich bis zur Verfolgung einsetzt, der wird satt, der wird erfüllt, der findet das Leben, dem gehört das Himmelreich.
Aber – jetzt habe ich lange genug um den heißen Brei herumgeredet: Wonach geht denn der Hunger und der Durst? Wofür sollen wir uns denn einsetzen, wenn es sein muss bis zur Verfolgung?
Für die Gerechtigkeit! Gerechtigkeit – das ist unser heutiges Thema.
Gerechtigkeit – das ist zunächst einmal ein großer Begriff. Die Philosophen haben versucht, ihn zu ergründen. Für die alten Griechen war die Gerechtigkeit eine der vier Grund – o. Kardinaltugenden neben Klugheit, Mäßigung und Tapferkeit. Aber was ist Gerechtigkeit?
Gerechtigkeit herrscht dann, wenn die Welt im Lot ist. Wenn die Waage stimmt. Wenn alles ausgeglichen ist. Wenn nichts Ungleichgewichtiges die Ordnung oder Ausgewogenheit stört.
Einige Beispiele aus der letzten Zeit:
Wenn die einen alles haben oder vieles und die anderen nichts oder kaum etwas, dann ist keine Gerechtigkeit.
Wenn die einen ihr Erspartes oder ihre Rente verlieren oder darum fürchten müssen, die Banker aber, die dafür verantwortlich sind, große Abfindungen oder Boni bekommen, dann ist keine Gerechtigkeit.
Wenn einer oder eine immer im Rampenlicht steht und das große Wort führt, und ein anderer immer im Schatten sitzt und nicht zum Zuge kommt, dann ist keine Gerechtigkeit.
Dabei muss es gar nicht so extrem sein. Schon kleinere Ungleichheiten empfinden wir als große Ungerechtigkeit. Manche Menschen sind da sehr empfindlich und reagieren sofort.
Überhaupt spielt das Subjektive, das Persönliche eine große Rolle. Gerechtigkeit ist nichts Abstraktes. Immer kommt es darauf an, wie ich es empfinde. Gerechtigkeit ist nicht für alle das Gleiche. Man muss m i r gerecht werden, dann fühle ich erst die Gerechtigkeit. Mit gleichem Recht muss man dann aber auch dem anderen gerecht werden oder der ganzen Welt, den Tieren, dem Meer, der Luft – sonst ist Ungerechtigkeit. Dann ist keine Ordnung da, dann ist die Ordnung und das Leben gestört, dann leiden die Menschen und hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.
Wir spüren, wie schwer, ja fast unmöglich es ist, jedem gerecht zu sein oder zu werden, Gerechtigkeit zu suchen oder zu verwirklichen. Wir haben ein ganz feines Gespür dafür. Wir spüren, wo und wie die Welt nicht in Ordnung ist, wo sie aus dem Lot ist. Wir leiden darunter und sehnen uns.
Ich glaube, dass Barack Obama am letzten Dienstag mit einer solchen Sehnsucht bejubelt wurde, weil die Menschen in ihm fast einen Messias sehen, der allem gerecht werden soll, um so Gerechtigkeit herbeizuführen. Zugleich wissen wir, dass das einen einzelnen immer überfordern muss.
Damit das alles nun nicht etwa willkürlich wird und jeder wohl nur seinen eigenen großen Egoismus als neue Gerechtigkeit ausgibt, fehlt noch etwas ganz Wichtiges. Wir müssen nicht nur uns oder dem Menschen im allgemeinen gerecht werden. Wir müssen vor allem Gott gerecht werden. Sein Wesen ist der 1. Maßstab für das, was auf unserer Erde alleine Gerechtigkeit sein kann. Wenn Gott z.B. die Liebe ist, kann auf der Erde nicht mit Gewaltsamkeit Gerechtigkeit hergestellt werden. Gerechtigkeit verlangt dann, dem Wesen Gottes zu entsprechen. Es muss die Liebe sein, die weiterführt.
Jesus rückt mit unserem Stichwort deshalb noch einen wichtigen Gesichtspunkt in den Blick. Er sagt, dass wir uns für die gerechte Sache einsetzen sollen – bis hin zur Verfolgung. Viele jammern nur und klagen, dass alles so schlimm und ungerecht ist. Jesus sagt: ihr müsst auch etwas tun! Dann gehört euch der Himmel. Erst dann. er fällt nicht vom Himmel, sondern baut sich in dem Maße auf, wie ihr die Gerechtigkeit findet und sie wirklich lebt. Jesus schickt uns also auf die Suche. Wir müssen nur unserem innersten Empfinden nachgehen und mit anderen darüber ins Gespräch kommen, dann finden wir den Weg, die Spur zu größerer Gerechtigkeit. Nicht sofort die ganze Gerechtigkeit, aber die größere als die, die wir jetzt haben.
Also: Was ist Leben? Wirkliches Leben?!
Nicht nur sitzen und labern, sich selbst und andere volllabern. Nicht nur Essen und Trinken. Nicht Gegenstände auf Gegenstände häufen, bis wir daran ersticken, sondern unter allem den wirklichen Hunger und Durst entdecken. Spüren, wo die Welt ungerecht ist, wo sie oder ich darunter leiden, wo der Segen schief hängt, - es benennen und anders handeln,- selbst wenn man uns dafür mit Böswilligkeit verfolgt oder schmäht.
Denen gehört das Himmelreich. Und: ohne Himmel können wir wirklich nicht leben. Erde allein ist zu wenig.
AMEN

Sonntag, 2. November 2008

PREDIGT über Matth. 5,9 vom 2.11.08

Predigt über die 7. Seligpreisung Matth.5,9

Liebe Gemeinde,

wenn man Menschen – zumal ältere – nach ihren sehnlichsten, wichtigsten Wünschen für sich selbst, für andere und für die Welt fragt, bekommt man zumeist diese beiden genannt: Gesundheit und Frieden.
Wenn man tiefer in diese beiden Wünsche hineinhorcht, spürt man, dass sie zusammengehören: Wenn Gesundheit nicht nur körperlich zu verstehen ist – Unversehrtheit des Leibes -, sondern auch seelische Gesundheit meint, dann gehört auch Zufriedenheit, zu-Frieden-gekommen-sein dazu,- und das strahlt in die Welt aus, das schafft auch Frieden in der Welt. Gesundheit und Frieden hängen also zusammen. Frieden kommt aus Gesundheit. Aus Krankheit kann kein Frieden wachsen. Gesundheit und Frieden sind die wichtigsten Wünsche, die Menschen haben. Ohne Gesundheit und Frieden ist alles andere nichts.
Aber so eingerichtet ist die Welt nun mal eben nicht. Sie ist weder gesund noch friedlich. Da sind nicht nur Krankheiten, die das Leben schwer machen und die zu großen Sorgen, zu Kummer und Angst führen, da sind auch innere Verwundungen, die das Leben oder den Körper ausbluten lassen bis hin zur Erstarrung oder zum Tode, wie bei den beiden Frauen, von denen wir im heutigen Evangelium gehört haben. (Matth.9,18ff)
Und: Krankheiten und Verwundungen innerer und äußerer Art bringen Unfrieden in die Welt. Von den großen kriegerischen, terroristischen Auseinandersetzungen bis hin zu den kleinen Stellungskriegen im Alltag, in den Familien und manchmal sogar in uns selbst. Manche Menschen führen Krieg mit sich oder gegen sich selbst, weil sie ewig unzufrieden mit sich sind. Immer sind Krankheiten, Fehlentwicklungen, Verwundungen die Ursache für jede Friedlosigkeit.
In diese kranke, unheile, friedlose Welt spricht Jesus nun ein Wort, das wie Balsam klingt, wenn wir es nur richtig anzuwenden wüssten:
Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Söhne und Töchter Gottes heißen.
Martin Luther hat hier Friedfertige übersetzt. Das ist nicht falsch , aber auch nicht ganz richtig. Um friedfertig zu sein – also von einer friedlichen Wesensart oder Gesinnung sein – muss man zunächst einmal Frieden gemacht, aktiv Frieden geschlossen haben. Erst wenn man etwas dafür tut, kann man so auch sein. Von Natur aus allein ist der Mensch nicht friedfertig, sondern in Aufwallung, Aufregung, eher ohne Frieden und Zufriedenheit.
Wie stiftet man aber nun Frieden – und zwar mit sich selbst und mit anderen, und wie bringt man Frieden in die Welt? Das ist eine wichtige Frage.
Ich denke mir, dass wir alle das wohl wollen. Jeder hätte es gerne so. Deshalb wünschen wir es uns ja.
Aber warum vergessen wir es dann immer wieder? Warum übermannt uns immer wieder ein zänkisches Wesen oder geradezu eine Freude an Rachsucht – eben all`das, was nicht zum Frieden führt?!
Es hat keinen Zweck, wenn man hohe Ideale errichtet und hinter ihnen herläuft, und sich selbst mit all`seinen Begrenzungen, Fehlern und Verwundungen, mit seinen Krankheiten nicht mitnimmt.
Statt also nach oben zu schauen auf das Ganz-Gesunde, das Schöne und Edle, auf das Heile oder auch auf den ewigen Frieden, sollten wir eher nach unten, auf uns selber schauen und uns ein Stückweit aushalten und annehmen. Da sind wir mit all`unseren Lebensbrüchen, mit Verletzungen von Kindheit an, mit Unzufriedenheiten seit langem – und wir können nichts daran ändern, weil uns die Kraft dazu fehlt oder weil es gar nicht alleine von uns abhängt, beim besten Willen nicht.
Erst wenn ich das akzeptiere, merke ich, dass ich das in Wirklichkeit ja gar nicht bin. Das ist nur wie ein Gewand, das von einem unglücklichen Schicksal über mich gestülpt worden ist. Im Herzen bin ich ganz anders. Eigentlich will ich ja auch etwas ganz anderes. Und das, was ich will, ist wirklich gut.
Erst wenn ich meine Schatten gesehen habe und mich mit ihnen ausgesöhnt habe, kann ich aus meinem Herzen heraus neu leben. Das heißt Frieden-stiften, Frieden-machen. Zuerst mit mir – und dann kann ich in die Welt gehen.
Wir vergessen immer wieder, dass der Weg so verläuft. Wir hätten ihn gerne leichter, ohne Umweg. Wir hätten gerne den Frieden, ohne erst durch den friedlosen Menschen hindurchgehen zu müssen, um ihn zu überwinden. Aber das geht nicht. Erst müssen wir durch all`die harten Schalen, die um uns gelegt sind, hindurchbrechen, bevor wir aus dem echten, wahren und weichen Kern leben können.
Die das tun, die nennt Jesus Gottes-Söhne und Gottes-Töchter. Er meint damit nicht Gottes-Kinder, die klein und unmündig sind, sondern erwachsene, voll ausgereifte Söhne und Töchter. Menschen, die wirklich selbständig etwas tun, die den Frieden voranbringen, die wissen, dass sie eine friedliche Aufgabe haben, die an sich arbeiten, um erwachsen zu werden.
Auch dafür gibt es nun Regeln. Diese darf man nicht mit fordernden Gesetzen verwechseln. Diese Regeln kommen aus dem Herzen, wenn man einmal durch alle Verwundungen und Panzerungen bis zu ihm vorgedrungen ist.
Ich möchte Ihnen heute sieben solche Regeln nennen.
Voriges Jahr um diese Zeit war ich zum ersten Mal auf der Wartburg bei Eisenach in Thüringen. Die Wartburg ist nicht nur Luthers Zufluchtsort gewesen, sondern auch die Heimat der Hl.Elisabeth lange vor Luther. Diese Frau war eine Friedensstifterin und aus ihrem Handeln kann man einen Extrakt ziehen. Das sind die sieben Regeln, sieben Rosen, die aus einem heilen Herzen kommen.
Erste Regel: Du gehörst dazu.
Niemand darf ausgegrenzt werden. Jeder hat ein Recht dazusein und zur menschlichen Gemeinschaft zu gehören. Dieses Recht darf man niemanden streitig machen. Keiner ist wichtiger als der andere. Keiner soll sich wichtiger nehmen als der andere.
Zweite Regel: Ich höre dir zu.
Statt mit allzuviel Gerede einen Schutzwall zwischen sich und dem anderen aufzurichten, versuche ich dich erst einmal zu verstehen. Ich höre zu und lasse dich an mich heran.
Dritte Regel: Ich rede gut über dich!
Über das Schlechte rede ich nicht. Ich verschweige es. Aber die guten Seiten nehme ich wahr und benenne sie.
Vierte Regel: Ich gehe ein Stück Weg mit dir.
Nicht nur reden, sondern auch etwas gemeinsam tun. Manchmal lernt man den anderen dann ganz neu und anders kennen.
Ich teile mit dir
Ich besuche dich
Ich bete für dich –
das sind die weiteren Regeln. Die Wichtigsten aber sind für mich die ersten vier. Diese sollten wir einüben. Eine Gemeinde ist ein Experimentierfeld.
Stellen wir uns das nur einmal vor: Jeder redet nur noch gut über den anderen. Wie still das auf einmal in Alanya würde! Das Schlechte sagt man nur persönlich unter vier Augen, oder man behält es eine Weile für sich, bis es sich von alleine aufgelöst hat. Besser schweigen als schlecht reden.
Dann käme Frieden in unsere kleine Welt – und wir würden wirklich Söhne und Töchter Gottes heißen.
AMEN

Neuer Altar und Marienfigur




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